Steuern in Aventurien - auf Umsatz oder auf Gewinn?

Allgemeines zu Aventurien, Myranor, Uthuria, Tharun, Den Dunklen Zeiten & Co.
Antworten
Corak
Posts in topic: 2
Beiträge: 68
Registriert: 25.05.2009 19:06

Errungenschaften

Steuern in Aventurien - auf Umsatz oder auf Gewinn?

Ungelesener Beitrag von Corak »

Phex zum Gruße,

folgende Frage tauchte jüngst bei uns auf:

Wie verhält es sich mit den Steuern für einen Handwerker, Händler oder ein Handelshaus (als Unternehmen)? Wird der Umsatz besteuert - oder der Gewinn?

Gerade ein Baumeister (mit Kolonnen = Löhnen, Materialeinkauf und Kräne + Fuhrwerke = laufenden Kosten), zahlt der
a) auf die 2.500 Dukaten Auftragssumme für das Neue Stadthaus von Apotheker Franius Theuber seinen Adels- und Tempelzehnt oder
b) zahlt er den auf seine 50 Dukaten Gewinn nach Abzug aller seiner Ausgaben und Verpflichtungen?

Kennt sich jemand aus wie das im Mittelalter in Europa war? Ich stehe etwas auf dem Schlauch und finde keine passenden Quellen, lediglich jede Menge Aussagen zu Privatsteuern.

Danke & viele Grüße
- Corak

Benutzer 18120 gelöscht

Steuern in Aventurien - auf Umsatz oder auf Gewinn?

Ungelesener Beitrag von Benutzer 18120 gelöscht »

Sowohl der Aventurisches Almanach, als auch die Enzyklopaedia Aventurica verwenden Formulierungen, die beides zulassen. Die "Götter des Schwarzen Auges" betont ausdrücklich, das sich der Tempelzehnt nach Umsatz, nicht nach Gewinn richtet.

Historisch sind Steuergesetzgeber kreativer als Rollenspielautoren, wenn es darum geht Steuern zu erfinden oder ihre Erhebungsform festzulegen. Da es bei Steuern immer auch um Einnahmen geht, sind Gesetzgeber bemüht, die Kontrolle so einfach wie möglich zu machen. Andererseits sollen Steuern gerecht sein, wodurch es wieder kompliziert wird.

Bei der historischen Betrachtung, sollte man zwischen Bauern und Handwerker unterscheiden.

Bei mittelalterlichen leibeigenen Bauern wird üblicherweise Fronarbeit gefördert. Bei freien Bauern wird ein fester Bruchteil der Ernte eingefordert. Vielfach gibt es auch feste Dachabgaben, etwa ein Wagen Holz oder ein Sack Gänsefedern.
Je neuzeitlicher es wird, desto eher wird das durch eine Geldabgabe ersetzt. In manchen Regionen richtet sich diese nach der Bruttoernte, in manchen Regionen nach der Hofgröße.

Bei Handwerkern dominiert die Gewebekapitalsteuer. Ein Maurermeister, als Bauunternehmer, zahlt eine Steuer die sich nach der Betriebsgröße (z.B. Zahl der Gesellen) und Branche richtet. Die tatsächliche Auftragslage ist kein Besteuerungsmerkmal. Normalerweise wurden nur die Meister besteuert, die dann für ihren Ganzen Haushalt (Familie, Lehrlinge und Gesellen) verantwortlich waren. Die Gesellen hatten daher auch kein Mitspracherecht bei Stadtpolitischen Entscheidungen.

Daneben gibt es Grundsteuern. Diese richten sich nach dem Wert des Grundstück. Die vielfältigen Kopfsteuern sind natürlich von jedem zu zahlen.

Die heute übliche Einkommensteuer mit ihrer aufwendigen Einkünfteermittlung ist eine moderne Erfindung. Sie wurde erst in den 1920er entwickelt. Die Umsatzsteuer ist noch jünger.

Benutzeravatar
Herr der Welt
Moderation
Moderation
Posts in topic: 1
Beiträge: 4811
Registriert: 10.03.2010 10:43

Errungenschaften

Steuern in Aventurien - auf Umsatz oder auf Gewinn?

Ungelesener Beitrag von Herr der Welt »

Die Frage sollte eher lauten, wer (welche Institution) welche Abgaben verlangt. Wo es statt eines institutionalisierten Flächenstaates Überschneidungen von persönlichen und Gemeinschaftsverpflichtungen gibt, müssen verschiedene Interessen und Dienste bedacht werden. Steuern (als ein Staatsmonopol) spielen also keine oder kaum eine Rolle.
Im zünftig organisierten Handwerk bestimmen die Zünfte die Preise für Produkte und Dienstleistungen, sodass auch die Abgaben klar geregelt werden können. Die Zunft wird sicherlich eine Abgabe vom Gewinn erwarten (oder ohnehin nur einen festen Betrag der Handwerker pro Jahr kassieren), mehr nicht. Davon hat im Zweifels der Handwerker selbst etwas, weil die Zunftkasse für ihn auch eine Versicherung (und für die vereinten Handwerker eine Machtquelle innerhalb der Stadtpolitik) darstellt.
Materialien müssen beschafft und geliefert, mit anderen Worten: gehandelt werden. Da fallen ggf. allerlei Zölle an, je nachdem, wessen Grenzen überschritten und wessen Märkte (also wessen Marktrecht) genutzt wird, denn Straßen und Märkte werden von den fürstlichen, klerikalen oder städtischen Herren nicht kostenlos geschützt, instandgehalten etc. Händler oder Handelsgilden können Ausfälle (Materialien sind unbrauchbar oder gehen beim Transport kaputt oder werden geraubt) versichern, lassen sich diese Risikoübernahme aber natürlich auch anteilig (hier natürlich am Wert der versicherten Güter orientiert) entlohnen.
Je nach städtischer Ordnung können gewisse Beträge verlangt oder ausgezahlt bzw. städtische Steuerlasten modifiziert werden, je nach politischer Lage: Sollen neugebaute Häuser gefördert werden oder will man es gerade unattraktiv machen? Sind die Ziegeln aus den vorgegebenen Schindeln und damit brandsicherer? Wichtig ist hierbei natürlich auch die Frage, wie der Hausbesitzer in spe in die städtische Sicherheit und Verteidigung integriert wird, zu welchen Wach- und Instandhaltungsdiensten er verpflichtet wird (wenn das nicht ohnehin die Zunft viertelintern regelt).
Das neue Haus soll zudem einen kirchlichen Segen erhalten, was man anstandshalber mit einer Spende goutiert; an die Ingerimm-Kirche sowieso; an die favorisierte eigene Gottheit, vielleicht an Peraine, dass sie so gutes Holz geschaffen hat, das für den Bau genutzt werden konnte; an Phex, weil der nötige Handel reibungslos klappte. Etc. Vielleicht hat die Stadt hier auch eigene Vorgaben (mit den entsprechenden Kirchen zuvor ausgemacht).
Die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Aber einen übergreifenden bürokratischen Staat, der das fix mit Steuervorgaben abdeckt, gibt es nicht.

Benutzeravatar
ChaoGirDja
Posts in topic: 1
Beiträge: 9133
Registriert: 24.10.2006 21:37

Errungenschaften

Steuern in Aventurien - auf Umsatz oder auf Gewinn?

Ungelesener Beitrag von ChaoGirDja »

Corak hat geschrieben: 17.07.2022 11:41Wie verhält es sich mit den Steuern für einen Handwerker, Händler oder ein Handelshaus (als Unternehmen)? Wird der Umsatz besteuert - oder der Gewinn?
Weder noch...
Ein solches Steuersystem setzt ein Form der Buchhaltung voraus, die in Aventurien nur wenig führen bzw. führen können.
So etwas wie prozentuale Steuern in unserem modernen Sinne, existiert in Aventurien nicht. Selbst der Tempelzehnt, ist keine "10% von X". Sondern wirklich Buchstäblich "der 10te Teil". Hat der Bauer 10 Säcke voll Korn vom Feld geholt, bringt er den ersten zum Tempel und begleicht so seinen Tempelzehnt. Oder die ersten beiden, oder die ersten 3... je nachdem wie großzügig er sein will.
Es kann natürlich auch der letzte der 10 Säcke sein... Aber was das impliziert, darüber müssen wohl nicht reden ;)
Es wird aber nicht exakt nachgewogen wieviel Korn er vom Feld geholt, davon 10% Bestimmt und diese Menge dann exakt zum Tempel gehfahren.

Deswegen trifft der Begriff der "Abgabe" in Aventurien auch deutlich besser, als der der Steuer. Es sind eigentlich immer feste Beträge, welche Abgegeben werden müssen. Unabhängig davon, was wirklich Umgesetzt, Eingenommen oder Verdient wurde. Und das schlicht aus dem einfachen Grund, das diese Zahlen praktisch kaum zu bekommen sind. Der übliche kleine Händler hält sowas so gut wie garnicht nach. Für ihn Zählt nur, was er grade in der Tasche hat, was Gut X Kostet und was er glaubt dafür in Stadt Y verlangen zu können. Und am Tor der Stadt Y guckt sich die Wache an was der Händler hat, schätzt was dafür im Markt verlangen könnte und legt Anhand dessen, mithilfe von festen Vorgaben und "Augenmaß", Fest was der Händler an Zoll zu entrichten hat.
Und das zieht sich weiter und weiter durch die Geselschaft.
Der Kaiser zeiht nicht 1% vom Vermögen aller freien Bürger des Kaiserreiches ein, sondern exakt einen Dukaten pro Jahr und Person. Kann sie das nicht leisten... is das eher schlecht für die Person.
Der lokale Adlige bekommt nicht 20% des Verdienstes von seinen Bauern, sondern X Stunden Arbeit auf den Feldern, 100 Schindeln 50 Scheffel Korn usw. usv. Das sind alles Steuern, im Sinne der Bedeutung. Aber effektiv ist der Begriff der Abgabe deutlich Sinnvoller.
Das umfangreichste Werk ist hierzu "Handelsherr und Kiepenkerl". In den übrigen Werken wird mal hier, mal da das Thema aufgegriffen.
Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten.
Auch ein leichter Legastheniker mit Kontroll-Prog. finden nicht alle.

Corak
Posts in topic: 2
Beiträge: 68
Registriert: 25.05.2009 19:06

Errungenschaften

Steuern in Aventurien - auf Umsatz oder auf Gewinn?

Ungelesener Beitrag von Corak »

Danke für die Impulse und Literaturverweise :)

Benutzeravatar
Satinavian
Posts in topic: 1
Beiträge: 4297
Registriert: 30.03.2007 11:53

Errungenschaften

Steuern in Aventurien - auf Umsatz oder auf Gewinn?

Ungelesener Beitrag von Satinavian »

Das Hauptproblem mit prozentualen Abgaben für Handwerker und Dienstleister ist, dass das Steuerhinterziehung trivial einfach machen würde, schließlich muss man sich dazu auf die Buchhaltung und die Aussagen des Steuerzahlers verlassen. So was wie modern irdisch mit Quittungen für alles, die auch irgendwie das Finanzamt erreichen und gegengeprüft werden können, ist viel zu viel bürokratischer Aufwand.

Deshalb gibt es Steuern meist auf das, was die Obrigkeit leicht sehen und prüfen kann : Kopfsteuern, Grundsteuern, Mitgliedsbeiträge, Abgaben für Martstände, Zölle beim Transport von Waren durch Tore und andere Engstellen, besondere Abgaben für Anlässe wir Heirat oder Geburt. Auch beim Bauern auf dem Land ist es nicht unüblich, die Steuern auf das Korn einzuholen, wenn es bei der Mühle landet (wo es früher oder später durch muss) und sonst eher anlass- oder flächenbezogene Abgaben oder Areitsdienste zu fordern.

Benutzer 18120 gelöscht

Steuern in Aventurien - auf Umsatz oder auf Gewinn?

Ungelesener Beitrag von Benutzer 18120 gelöscht »

Hier noch ein Zeitzeugenbericht, der zum Thema passt. Zwischen 1513 und 19 hat der bekannte italienische Staatsmann und Schriftsteller Niccolò Machiavelli in seinem Hauptwerk Discorsi auch ein kleines Kapitel über das Steuersystem deutscher Städte am Ende des Mittelalters verfasst:

In Deutschland dagegen ist im Volk noch viel Rechtschaffenheit und Frömmigkeit zu finden. Deshalb gibt es dort auch viele freie Städte, die ihre Gesetze so gut beachten, daß weder ein äußerer noch ein innerer Feind etwas gegen ihre Unabhängigkeit zu unternehmen wagt. Daß es hier noch ein gut Teil der alten Rechtschaffenheit gibt, soll folgendes Beispiel beweisen, das mit dem vom römischen Senat und Volk angeführten viel Ähnlichkeit hat.
Brauchen diese freien Städte Geld für öffentliche Zwecke, so erheben die zuständigen Behörden oder Ratskollegien von all Einwohnern der Stadt eine Vermögensabgabe von einem oder zwei Prozent. Entspricht dieser Beschluß der Verfassung, so erscheint jeder vor den Steuereinnehmern und wirft nachdem er zuvor einen Eid geleistet hat, daß er die ihn treffende Summe zahlen wolle, in eine dazu aufgestellte Kasse den Betrag, den er nach seinem Gewissen geben zu müssen glaubt. Zeuge für die Richtigkeit dieser Zahlung ist niemand außer dem, der sie leistet. Daraus läßt sich schließen,wieviel Rechtschaffenheit und religiöse Überzeugung noch in diesen Menschen lebt. Es ist anzunehmen, daß jeder die auf ihn treffende Summe bezahlt; denn sonst würde die Steuer nicht den Betrag erreichen, den man auf Grund früherer Einnahmen haben müßte. Man würde den Betrug merken und hätte längst eine andere Art der Erhebung eingeführt.
Diese Rechtschaffenheit ist in unserer Zeit um so mehr zu bewundern, als sie außerordentlich selten ist. Man findet sie eigentlich nur noch bei den Deutschen. Dies hat zwei Ursachen: Die erste ist die, daß sie nur geringen Handelsverkehr mit ihren Nachbarn unterhalten haben. Diese sind nie zu ihnen gekommen, und sie nicht zu ihren Nachbarn; denn sie begnügten sich stets mit dem ihrigen, aßen ihre heimischen Speisen und kleideten sich in die Wolle, die ihnen ihre Heimat gab. Damit war der Anlage zu jedem Verkehr und der Anfang zu jeder Sittenverderbnis beseitigt, da sie weder französische noch spanische noch italienische Sitten annehmen konnten; denn diese drei Nationen miteinander sind die Verderbnis der Welt. Die zweite Ursache ist die, daß diese Städte, die sich noch eine freie und unverdorbene Verfassung erhalten haben, keine Edelleute unter ihren Mitbürgern dulden, noch erlauben, daß einer ihrer Mitbürger ein Leben wie ein Adliger führt. Ja mehr noch, sie achten streng auf absolute Gleichheit im Innern und sind die erbittertsten Feinde der Herren und Ritter ihres Landes. Wenn einer von diesen zufällig in ihre Hände fällt, so beseitigen sie ihn, da sie den Adel für die Wurzel der Verderbnis und für die Ursache jeder staatlichen Unordnung halten.
(Ausschnitt aus Discorsi 1. Buch 55. Kapitel in der Übersetzung von Rudolf Zorn)

Etwa 10 Jahre vor verfassen dieses Textes war Machiavelli als Diplomat in Deutschland unterwegs, er wusste über das Thema mehr als bloßes Hörensagen. Andererseits war er ein humanistisch ausgebildeter Mensch, der ganz in der Tradition eines Tacitus seinen Landleuten ein idealisiertes Bild der Deutschen entgegensetzen wollte. Diesen Zeitzeugenbericht aus der Übergangszeit zwischen mittelalterlicher Feudalordnung und frühneuzeitlicher Staatlichkeit sollte man daher mit Vorsicht genießen, ganz so idealisiert, wie er geschrieben hat, war es sicher nicht. Trotzdem sind einige wahre Punkte enthalten.

Die direkten Steuern richteten sich nach Vermögen nicht nach Einkommen oder Umsatz.

Das erheben der direkten Steuer bedarf jeweils der Zustimmung des Rates. Das gilt tendenziell auch für das Land. Hier gab es mit Landständen oder Landschaften "Vorparlamente" mit denen die Adligen die Steuern aushandeln mussten. Daher waren indirekte Steuern beim Adel beliebt, die konnten im Verwaltungsweg an diesen Gremien vorbei eingeführt werden.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Trend, das diese Gremien jeweils eine feste Steuersumme bewilligten. Der Hebesatz, die angesprochenen ein bis zwei Prozent, wurde jeweils so festgelegt, dass sich die Summe ergab. Spätestens ab dem 14. Jahrhundert wurden umfangreiche Vermögensverzeichnisse angelegt.

Die Gesamtsumme wurde auf die Orte umgelegt. In den einzelnen Orten war der Rat oder die Schöffen zuständig, die Steuer auf die einzelnen Haushalte umzulegen. Es gab also einen erheblichen Druck auf das korrekte Steuerzahlen seiner Nachbarn zu achten. Wenn die Steuersumme für Trutzbach feststeht und Bauer Alrik zu wenig zahlt, müssen Bäuerin Balrike und Handwerker Cedrik automatisch mehr bezahlen um den Betrag zusammenzubringen.

Antworten