Zwei Herangehensweisen dominierten die Diskussion auf den letzten Seiten: (1) Grolme sind goldgierig und geizig, alle, und teilen damit antisemitische Klischeevorstellungen bei gleichzeitiger Ähnlichkeit zu entsprechenden Karikaturen. (2) Die erzählte Geschichte der Grolme weist Parallelen zur jüdischen Geschichte auf.
(1) ist ein dezidiertes DSA4-Problem, für das Grolme das - möglicherweise umso unglücklichere - Symptom veranschaulichen. Es ist im Allgemeinen problematisch, dass (kulturschaffenden) Spezies bestimmte Charakter-Merkmale zugeschrieben werden, weil die Parallelisierung von körperlichen Eigenschaften und (Un-)Tugenden bzw. geistig-charakterlichen Fähigkeiten ein Grundmuster menschenfeindlicher Annahmen sind. Das ist bei (im doppelten Sinne) kaltblütigen Echsenmenschen (wie ich Achaz bewusst nennen möchte) vielleicht nicht so auffällig. Dass alle Thorwaler jähzornig sind (ebenso wie alle Hexen, wenn sie nicht rachsüchtig sind, was - nicht ganz zu Unrecht - auch die Frage misogyner Stereotype aufwerfen könnte, egal, ob es - inzwischen - auch männliche Hexer gibt), alle Norbarden einen CH-Bonus erhalten, dass Menschen überhaupt in quasi "Unter-Rassen" gegliedert und verschieden bewertet werden, ist durchaus problematisch.
Ansinnen war sicherlich, die spielerische Vielfalt zu wahren: Ein Nivese sollte sich schon etwas anders spielen als ein Thorwaler, egal, was da noch als Kultur und Profession drauf kommt. Es wäre weniger problematisch gewesen, wenn ein gewisser Bonus stärker an die Kultur geknüpft wäre, weil dann eben nicht die Gen- oder Blut-Frage aufkommen kann, die zumal mit dem Rasse-Begriff mitschwingt (völlig gleich, wie es mit der Genetik in der DSA-Welt steht).
Die aktuelle DSA-Edition zeigt, dass es wohl durchaus ein Bewusstsein für diese Problematik gibt: Menschen sind eine Spezies, Elfen eine eigene (der Rasse-Begriff war hier in DSA4 schon seltsam, nicht einmal in einem irgendwie rassistischen Sinne, was durchaus die weitgehend unreflektierte Nutzung aufzeigt, jedenfalls anzunehmen nahelegt), Norbarden und co. sind Kulturen (auch in einem erweiterten ethnischen Sinne). Und soweit ich das korrekt überschaut habe (ich prüfte nicht jedes einzelne Paket) gibt es auch keine stereotypisierenden "automatischen Vor-/Nachteile" (die dem menschenfeindlichen Grundmuster: alle sind so/gleich entsprechen), sondern nur typische.
Darüber hinaus gibt es natürlich noch das in der fiktiven Welt real-mythische Element: Zwerge sind goldgierig, weil das zu deren Ursprungsgeschichte gehört, weil sie etwas erfahren haben, was irdisch als übernatürlich gelten muss. Götterwirken und Zauberei sind in der DSA-Welt aber nicht übernatürlich (im eigentlichen Sinne des Wortes), sondern gehören zu einer - erweiterten - natürlichen Umwelt (die eben über mehreren Sphären reicht). Selbst wenn man hier Maßstäbe ansetzen wollte, wie wie man es bei bestimmten esoterischen oder lebensphilosophischen Ansichten tut, erscheint mir DSA viel zu klar fiktiv und das Moment der möglichen Identifikation (wie schon mal gesagt: Es handelt sich vielmehr um die deutlich schwächere Imagination) viel zu gering. Kurz gesagt: Für (so gut wie) niemanden wird die reale Welt mythischer durch das Spielen von DSA.
(2) verlangt den genauen Blick darauf, was auf welche Weise erzählt wird. Dass ein Volk (in dem Fall: das der Grolme) vertrieben und in eine Art Diaspora getrieben wird, ist keine Reproduktion antisemitischer Klischees, sondern greift zunächst neutral ein irdisch-historisches Narrativ auf. Das ist im Übrigen nicht die Exodus-Geschichte (mit ihrem starken mythischen Anklang und ihrer umstrittenen Historizität), welche den Auszug und nicht die Vertreibung des Volkes Israel erzählt (und das unabhängig von der geschichtlichen Faktizität: klar als ein Ursprungsmythos). Der jüdische Exodus ist eine Befreiungsgeschichte, an deren Ende - nach harter Prüfung - das gelobte Land als die eigentliche, wahre Heimat steht. Darin spiegelt sich natürlich auch die (real-historische) Erfahrung der Konfrontation des Judentums mit verschiedenen Fremdherrschern und den Übergriffen der großen Imperien in der Achsenzeit.
Davon zu trennen ist die Geschichte (samt ihrem mythischen Gehalt als Kollektiverfahrung) von der Entstehung der Diaspora, denn dabei handelt es sich gewissermaßen um die andere Seite der Medaille. Konnte man sich einerseits behaupten, wurde man andererseits stets nicht nur bedroht, sondern unterworfen, entführt, (fremd-)beherrscht. Wir sprechen über einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahrtausend. Man könnte nun darauf eingehen, wie die jüdische Geschichte mit ihrer ungeheuren Ambivalenz zwischen der - immer wieder neuen - Entdeckung, Eroberung und dem Bewohnen des Heiligen Landes sowie dem Verlust, der Vertreibung und der Unterdrückung sich auch im jüdischen Gottesbild und allgemein in der Schriftenexegese und Glaubenspraxis spiegelt. Hier soll es aber um Grolme gehen.
Klammert man Punkt (1) zunächst aus - im Wesentlichen die unglückliche Setzung kollektiver Rassen-Merkmale in DSA4 (s.o.) -, dann bleibt die Erzählung einer sich an der Not anderer bereichernden Gruppe, die - je nach Quelle - mehr oder weniger geschlossen agierte: "Im Bann des Diamanten" (S. 31) spricht vom "Volk der Grolme" als Akteur sowie von "der grolmischen Preistreiberei und Übervorteilung", relativiert implizit durch die Betonung, dass "der Zorn der Menschen auf einzelne Wucherer in Hass auf die gesamte Grolmenheit" umschlage. Die "Historia Aventurica" (S. 165) hingegen erzählt zwar auch erst einmal kollektiv von "den Grolmen" als "hervorragende Handelsleute, die [...] ihren Mitbürgern das Gold aus der Tasche ziehen", relativiert aber klarer, dass nur "einige von ihnen [...] die Gier [übermannte]" und - auch hier deutlicher als zuvor - "sich der Zorn des [bosparanisch-menschlichen] Volkes auf einmal gegen sie – und wie üblich nicht nur gegen die wirklichen Übeltäter, sondern gleich gegen die ganze Rasse" gewendet habe.
Das hat absolut nichts mit dem Narrativ von Exodus (Auszug der Israeliten ins Heilige Land) und Diaspora (Vertreibung aus dem Heiligen Land) zu tun. Es gibt kein Heiliges Land, das gefunden, erkämpft, verlassen oder fremdbeherrscht wird.
Das zugrundeliegende Narrativ ist aber ebenfalls (vor-)achsenzeitlich (also aus den vorchristlichen Jahrtausenden seit der Gründung erster großflächiger Reiche bzw. Imperien bis hin zum römischen Weltreich). Zwar gab es auch schon zu dieser Zeit Vorbehalte gegen (Geld-)Handel, weil sich daraus im Zusammenspiel mit militärischen Ambitionen der Herrscher (und große Imperien waren nicht grundlos prägend für diese Zeit) sehr wahrscheinlich zyklisch Phasen extrem ausgeprägter Schuldknechtschaft ergaben (neue Herrscher neigten nicht ohne Grund dazu, ihre Untertanen zu entschulden). Im Grund ist das der Kontext der "Middleman minority"-Vorbehalte, die vor einigen Seiten genannt wurden. Diese wurden aber erst im Mittelalter zu Vorurteilen, die europäische Christen gegenüber europäischen Juden pflegten (der Verbot des Geldhandels für Christen hängt aber ebenso mit dem Thema Schuldknechtschaft zusammen wie die christliche Ablehnung der Sklaverei). Sie existierten - wie im Thread bereits ausgeführt wurde - auch in anderen Weltteilen im Mittelalter und zuvor (große Ausnahme ist der Islam: darauf bin ich
in diesem sowie in
diesem Beitrag näher eingegangen[/URL]).
Nach den wenigen Informationen zu den Grolmen im Vorfeld der Grolmenkriege sollte deren Handeln auf eine umfangreiche Schuldknechtschaft der menschlichen Bevölkerung hinausgelaufen sein. Das passiert üblicherweise, wenn Schulden nicht mehr bezahlt werden können und Schuldknechtschaft nicht ausdrücklich verboten ist (dazu "Schatten über Bosparan, S. 16: "aber auch Schulden [...] können in die Sklaverei führen"). Das waren irdisch-historisch immer wieder Anlässe für Aufstände (oder eben für Aufhebung von Schulden, um Aufständen vorzubeugen); leicht nachvollziehbar, wenn die konkreten Folgen das faktische Verkaufen von Familienmitgliedern darstellte. Das passte auch zur Praxis der Grolme, Angehörige anderer Spezies für sich arbeiten zu lassen. Grolme verkörpern hier in der Tat den gierigen Händler in seiner schlimmsten Ausprägung - als Menschenhändler und [Schuld-]Sklavenhalter. Sie erfahren in Aufstand und Niederlage poetische Gerechtigkeit, wobei andererseits die pogromhaften Ausschreitung in der Form (gegen
alle Grolme bzw. Grolme
an sich) als nicht gerechtfertigt beschrieben wird. Weder IBdD noch die HA zeichnen hier ein manichäisches Bild des (absolut) gerechten Aufstandes (als bellum iustum) gegen die (absolut) bösen Unterdrücker (als gleichförmige Gesamtheit).
Gewissermaßen relativiert Punkt (2) somit auch Punkt (1), denn in der Erzählung auch grolmischer Opfer bosparanisch-menschlicher Ausschreitungen sowie dass nicht alle Grolme gleichermaßen rücksichtslos gierig handelten (obwohl sie - gemäß DSA4-Regeln - allesamt die Latenz aufweisen) sehen wir keinen Kampf von Gut und Böse, sondern einen Prozess, der als (gesellschafts-)politisch gelten kann. Selbst wenn man also in Grolmen primär die Abziehbilder antisemitischer Karikaturen sehen will, so ist man von einer Konstellation dieser als eindeutige Schurken, als verschworene Gemeinschaft, die parasitär und "unehrlich" (im antisemitischen Duktus: nicht durch produzierende, körperlich-werktätige Arbeit) die hart arbeitende Majorität knechten und beherrschen will, deutlich entfernt. Vielmehr findet man v.a. eine konkrete (fiktiv-)historische Situation vor, in der die Schwäche einer Gruppe durch eine andere ausgenutzt wird. Als Problemstellung hat dies aus meiner Sicht eher anthropologische Qualität als dass es als Reproduktion antisemitischer Stereotype dienen kann (was nicht heißt, dass es dazu gar nicht geeignet wäre).