Morgan Kell hat geschrieben: ↑23.06.2020 00:08
Tut mir leid dass ich es nicht geschafft die anderen Texte hier zu lesen.
Ich wollte nur kurz sagen, dass Grolme aus wissenschaltlicher Sicht eine „Middleman Minority“ darstellen. Es gibt dazu viel Forschungsarbeit aber auch diesen kurzen Wikipedia Artikel:
https://en.wikipedia.org/wiki/Middleman ... %20society.
Diese „Middleman Minorityies“ sind ganz natürlich und gibt es auf der ganzen Welt, das hat nichts mit Menschen jüdischer Abstammung zu tun.
Diesen Aspekt wollte ich auch noch einmal hervorheben (der Artikel, den ich dafür heranziehen wollte, ist sogar unter den Referenzen aufgeführt. Sachen gibts). Denn eigentlich wollte ich ja auf das Verlinken politischer bzw politikwissenschaftlicher Quellen verzichten; aber da ein Großteil der Beweisführung auf der Behauptung beruht, dass es sich beim Wucherer und Parasiten um ein spezifisch antisemitisches Klischee handelt, möchte ich allen den folgenden Text ans Herz legen:
https://www.hoover.org/research/anti-semitism-generic
Wie dieser Text illustriert, handelt es sich also bei vielen der vermeintlich spezifisch antisemitischen Klischees bei den Grolmen mitnichten um solche, die die ausschließlich Juden betreffen, sondern ganz allgemein um Ressentiments gegen die genannten "Middleman-Minorities", wie man sie auf offenbar auf der ganzen Welt findet. (Interessanterweise sind es gerade diejenigen, die sich sonst dafür selbst auf die Schulter klopfen, wie kosmopolisch, interkulturell interessiert und engagiert gegen Rassismus und Ignoranz sie doch sind, auch die, denen vergleichbare Problematiken in einem nichteuropäischen Kontext anscheinend mehr oder weniger völliig unbekannt sind.)
Was hingegen fehlt, sind Eigenschaften, die ganz
spezifisch auf Juden (oder eben antisemitische Vorurteile) anspielen - weder visuell erscheinen sie als solche (sorry, ein gebeugter Gang und erhöhter Haaransatz zählen nicht, die haben auch Graf Dracula und Montgomery Burns), noch haben sie entsprechenden einen Akzent (die Norbarden schon...), noch unterstellt man ihnen Brunnenvergifterei oder das Streben nach Weltherrschaft, noch kontrollieren sie die Medien, noch gibt es irgendwo die "Protokolle der Weisen von Gh'Orrgelmur".
Mit anderen Worten: Wenn man bei den Grolmen die Aspekte abzieht, die generisch sind (Händler, Leben in der Diaspora, Ingroup-Zusammenhalt, Unterstellung von Geldgier und Parasitentum), diejenigen, die gar nicht erst bei den Grolmen zu finden sind (diverse visuelle Klischees, Streben nach der Weltherrschaft, Brunnenvergiftung), und diejenigen, die Glumbosch komplett an den Haaren herbeigezogen hat (Haaransatz, gebeugter Gang), bleibt echt nicht mehr viel vom angeblich so stereotypischen Juden übrig.
Vor diesem Hintergrund erscheint letztlich auch die Unterstellung, die Verantwortung für die Grolmenfeindlichkeit durch die Grolme selbst sei ja auch so ein antisemitisches Klischee, als logischer Zirkelschluss: Sie funktioniert nämlich nur, wenn man die Grundprämisse, dass die Grolme in irgendeiner Weise Juden darstellen sollen, überhaupt erst als gesetzt annimmt.
Aryador hat geschrieben: ↑23.06.2020 08:01
Und was du jetzt hier mit einem Handstreich machst, ist diejenigen, die (zum Beispiel auch als Betroffene selbst) aufzeigen, und sagen, dass sie etwas stört zur "Gedankenpolizei" und zu "dieser Gruppe" zu stilisieren, was in der kompletten Wortwahl direkt schon wieder die Barrikaden hochzieht und auf beiden Seiten die Lunte scharf macht. Das steht in krassem Gegensatz zu einer Diskussion hier in diesem Thread, die teilweise von verschiedenen Seiten dafür gelobt wurde, dass man einander zuhört.
Hier möchte ich etwas ausholen und das Konzept der Call-out und Cancel Culture in den Raum werfen, mit der uns das Internet beglückt hat.
Die ursprüngliche Empörungskultur des Internets ist einige Jahre älter (empfohlene Literatur: Ron Jonson, "So you've been publicly shamed", bzw. die deutsche Version "In Shitgewittern: Wie wir uns das Leben zur Hölle machen"), und vermutlich wird der durchschnittliche Netznutzer sich davon eine klare Vorstellung machen können: Ein Mob von Internet-Hyänen ist auf der Suche nach Opfern, die er öffentlich durch den Fleischwolf drehen kann, um sich dabei selbst besonders toll fühlen zu können. Früher brauchte es für so etwas die BILD, noch viel früher den Pranger; mittlerweile können auch Einzelpersonen mit Internetanschluss entsprechende Hexenjagden lostreten.
Die Call-out culture ist, wenn man so will, ein stark politisierter Ableger dieser Empörungskultur, und ist vor allem in den letzten fünf Jahren gewachsen, als die Post-Millenials die US-Universitäten geflutet haben.
Bei der Call-out culture geht es vorgeblich darum, "problematische", "toxische" etc. Einstellungen und Äußerungen öffentlich zu machen und zu kritisieren, um so ein Problembewusstsein zu schaffen und die Übeltäter nicht mehr wie bisher mit ihrem Mindset davonkommen, sondern sie gewissermaßen mit einer Graswurzel-Opposition zu bekämpfen und im Zweifelsfall auch zu "canceln".
Was auf dem Papier erstmal nach gerechtfertigter Kritik klingt, nimmt aber in der Tat gedankenpolizeiliche Züge an; denn in der Praxis sieht es so aus, dass die Standards, gegen die verstoßen werden, immer willkürlicher und enger gefasst werden; und die Vergeltung jede Verhältnismäßigkeit vermissen lässt: Die Missachtung arbiträrer ideologischer Standards kann dann in regelrechte Hexenjagden inklusive öffentlicher Schauprozesse mit öffentlicher Selbstanklage münden und durchaus auch in der Vernichtung der Lebensgrundlage der Betroffenen gipfeln (empfohlene Literatur: Jonathan Haidt, "The Coddling of the American Mind").
Das ist vor allem auch deswegen möglich, weil ein anderer, unausgesprochener Aspekt der Call-out Culture darin besteht, dass es eben nicht nur um ideologische Verstöße geht, sondern das ganze System in eine Prestige-Ökonomie eingebettet ist, in der es zu einem ehrenvollen Akt geworden ist, Gedankenverbrecher auszumachen und gnadenlos zu verfolgen - und das gerade
das zum Motiv wird, immer neue Abweichungen und Verstöße zu suchen und im Zweifelsfall auch zu konstruieren. Also quasi die Dynamik, die man in jeder Kulturrevolution und jeder Purity Spiral beobachten kann: Alle versuchen, sich gegenseitig darin zu überbieten, ihr ideologisches Commitment zu demonstrieren, und werden zusehends intoleranter und bereitwilliger, alles im denkbar negativsten Licht zu sehen, damit sie gewissermaßen einen neuen "Skalp" heimbringen können.
Um hier mal Jonathan Haidt direkt zu zitieren (
https://www.rnz.co.nz/national/programm ... ge-economy):
[Jonathan Haidt] explains that call-out culture is a new "prestige economy".
"In any group of young people, we're all concerned with prestige and there's only so much to go around, so how do you get it? If you get prestige by being the best athlete kids will compete for that, if you get it by being the most beautiful or the smartest they'll compete for that.
"Part of a call-out culture is you get credit based on what someone else said if you 'call it out'."
He says in some ways this is good.
"This is the most tolerant generation by far on matters of race and gender and LGBTQ, they drink less, they drive less, they work for a living less."
However, he says it has reached a level of personal vindictiveness, where people go out of their way to find ways the things other people say could be construed as insensitive.
"It’s an economy of prestige in which everyone’s looking to trip up other people and they’re also very hard to work with."
Was das ganze mit dem vorliegenden Thema zu tun hat? Nun, diese Call-out culture hat auch in der RPG-Community Einzug gehalten, und eben auch in die von DSA (sie ist auch der Grund, warum ich mir den Orkenspalter nicht mehr antun wollte:
viewtopic.php?f=182&t=53384&p=1921678#p1921678).
Und leider muss ich sagen, dass ich diese Motivation auch hinter diesem Thread hier sehe. Ich vermute nämlich ganz stark, dass es dem Threaderöffner nie wirklich um eine ergebnisoffene Diskussion ging inklusive der Bereitschaft, Argumente zu akzeptieren, die die eigene Position widerlegen (und davon gab es ja mehr als genug); einfach deswegen, weil er absolut überzeugt davon war und ist, vollkommen und unbestreitbar richtig zu liegen und ganz besonders tiefsitzende antisemitische Vorurteile im Herzen der DSA-Redaktion enttarnt zu haben (die einzige Frage war lediglich, ob sie bewusst oder unbewusst waren) - was letztlich auch daran liegt, dass er sie, als er erst einmal Blut zu riechen vermeinte, sie auch finden
wollte. Oder, wie
@B.O.B. es ausgedrückt hat: Wenn man einen Hammer hat, sieht man überall Nägel.
Schließlich hätte er, insbesondere nach der Debatte hier und dem deutlichen Widerspruch zu seiner These, auch darauf kommen können, seinen Text zu revidieren - aber so wie sich mir die Sache darstellt, war er derart in seine eigene These verliebt, dass er ihm weniger darum ging, Gegenargumente zu hören, sondern er sich nur hier im Forum schnell positives Feedback für seine vermeintlich unglaublich tiefschürfende Beobachtung abholen wollte. Und als er das nicht bekam, postete er trotzdem seinen Blogpost, der zwar ausführlicher war als der Eingangsbeitrag, inhaltlich aber dann doch im Großen und Ganzen dieselben teilweise extrem willkürlichen Vorwürfe an den Mann brachte.
Aryador hat geschrieben: ↑23.06.2020 08:01
Oder wo genau ziehst du am Ende den Strich zwischen der "Gedankenpolizei" und denjenigen, die begründet Probleme vorbringen?
Um es mal ganz simpel zu halten: Darin, dass diejenigen, die begründete Probleme vorbringen, nüchtern bleiben, für Gegenargumente zugänglich sind, und nicht automatisch negative Absichten und Motive unterstellen.
Und gerade von Antisemitismus und Rassismus Betroffene haben in der Vergangenheit häufig feststellen müssen, dass ihnen ihre Erfahrungen gerne auch mal pauschal abgesprochen werden ("Stell dich nicht so an", "Also ich hab sowas noch nie erlebt" oder dass sie direkt ebenfalls beschuldigt werden, eine geheime Agenda zu führen).
Hier würde ich eine Gegenfrage stellen: Wo ziehst
du denn die Grenze, ab wann etwas ein Angriff ist und wann nicht?
Ich vermute mal, dass du zu denjenigen gehörst, die die Deutungshoheit grundsätzlich beim Empfänger sehen, und dementsprechend die Verantwortung für Missverständnisse einseitig beim Sender (
viewtopic.php?f=197&t=53623&p=1928981#p1929083).
Was mich betrifft, orientiere mich lieber am "reasonable person standard": So, wie die Deutungshoheit darüber, was beleidigend ist oder wie eine bestimmte Aussage zu verstehen ist, nicht exklusiv beim Sender liegt; so liegt sie auch nicht exklusiv beim Empfänger: Beide sind letztlich nicht neutral.
Was ich damit meine, kannst du man ganz einfach mit dem Narzissten-Problem illustrieren: Ein Narzisst als Absender wird in der Regel einen persönlichen Angriff nicht als ungerechtfertigte Beleidigung, sondern als gerechtfertigte Tatsachenfeststellung ansehen. Umgekehrt wird derselbe Narzisst als Empfänger jede noch so milde Kritik als unverzeihliche Beleidigung interpretieren - und aus diesem Grund misstraue ich grundsätzlich Kommunikationskonventionen, die allzu bereitwillig die Deutungshoheit darüber, wie etwas zu bewerten ist, pauschal einer bestimmten Partei zugestehen.
Ganz generell lese ich bei dir heraus, dass du eine unterschwellige Angst hast, jemand wolle dir dein Rollenspiel kaputt machen, und deine Fantasy zerstören, und ich verstehe persönlich nicht ganz, wo diese Angst herkommt. Inwieweit fühlst du dich in deinem persönlichen Rollenspiel, zu Hause am Tisch, eingeschränkt, wenn im DSA5-Bestiarium der Grolm einen kleineren Kopf hat?
Ich weiß zwar jetzt nicht, was die kleineren Köppe der Grolme damit zu tun haben, aber dass es Bestrebungen zur Politisierung von Hobbies gibt, sollte eigentlich nicht abzustreiten sein. Das hast du in Hollywood (ich könnte dir aus dem Stand über ein halbes Dutzend Franchises nennen, wo das der Fall war; in der Regel zum Schaden der jeweiligen Franchise), das hast du in der Videospiele-Industrie, und das hast du letztlich auch im Tabletop-RPG (MtG wurde erwähnt; DnD wurde erwähnt; Warhammer 40k steht auch immer wieder unter Beschuss, und bei DSA haben wir es ebenfalls - Himmel, Michael Masberg hat in seinem schäbig nachtretenden Exit-Blogpost sogar explizit eine Politisierung des Hobbys eingefordert; und er steht damit durchaus für ein gewisses Segment der Spielerschaft). Mag sein dass es dir nicht aufällt (oder zumindest nicht negativ; da diese Entwicklungen mit deinen weltanschaulichen Präferenzen konform gehen); aber das bedeutet nicht, dass entsprechende Bestrebungen nicht existieren.
Und ja, ich persönlich sehe es auch durchaus auch als bedenklich an, solche Tropes wie "Always Chaotic Evil" (
https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/ ... haoticEvil) primär auf der Basis zu verbannen, weil deren Verwendung in Literatur und Rollenspiel angeblich ein rassismusaffines Mindset fördern würde - denn dieses Mindset ist ein Indikator dafür, dass man normalen Lesern/Rollenspielern nicht zutraut, ohne betreutes Denken ihre Hobbies "richtig" zu leben. Und das ist nicht nur anmaßend, sondern im Grunde auch übergriffig und durchaus illiberal.
Nepolemo ya Dolvaran hat geschrieben: ↑23.06.2020 10:08
Besonders wenn Forderungen laut werden "problematische" Inhalte aus dem Spiel zu streichen, nicht nur bei DSA.
Es wird irgendwie als Hirngespinst dargestellt, aber wenn das Ziel ist keine reale Diskriminierung durch das Spiel zu verstärken, in dem es Grolme gibt, muss man das eigentlich auch auf andere "problematische" Völker in Aventurien ausweiten
Eben. Die Technik, so zu tun, als wären Bedenken grundsätzlich nur paranoide Spinnerei und slippery slope-Trugschlüsse, aber dann wird irgendwann - uuuups - per Salamitaktik und durch die Hintertür genau das umgesetzt, wovor die Bedenkenträger gewarnt haben.
Skalde hat geschrieben: ↑25.06.2020 11:39
Ich glaube, inzwischen bildet die Gruppe der Rollenspieler einfach den Durchschnitt unserer Gesellschaft ab. Es gibt so viele davon. In den Achtzigern und Neunzigern, als das Hobby noch ein deutliches Schattendasein gefristet hat, war es m. W. n. hauptsächlich unter Akademikern und Studenten (einer traditionell eher linken Klientel) verbreitet. Somit mag (von meinem und dem Standpunkt vieler anderer Menschen aus betrachtet) eine Verschiebung nach rechts stattgefunden haben haben, aber das liegt vielleicht nur daran, dass mehr Menschen in einer Community auch ein größeres Spektrum an politischen Ansichten mit sich bringt.
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sich das groß geändert hat - die Akademisierung dürfte eher zugenommen haben, denn in den 80ern und 90ern waren vermutlich deutlich mehr Spieler noch gar nicht alt genug für ein Studium, während es heute viel mehr alte Hasen gibt, die ihres bereits seit Jahren hinter sich haben
Das mit dem Schattendasein im Vergleich zu heute stimmt so übrigens nicht - die Verkaufszahlen für DSA waren damals deutlich besser als heute.