diskriminierungsarmes Aventurien

Hier finden allgemeine DSA-Themen ihren Platz, zu denen es kein explizites Unterforum gibt.
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ejurgal
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Ungelesener Beitrag von ejurgal »

Moin zusammen,

ich bin mir nicht sicher, ob es ein passenderes Forum zu diesem Thread gibt, ggf. darf es gern verschoben werden. :)

Ein kleiner Disclaimer vorweg: Inspiriert von einer aktuellen Diskussion hier im Forum zu einer nicht hetero-normativen Beziehung zweier NSCs, möchte ich lediglich darstellen, wie meine Gruppe und ich es in unserem Aventurien handhaben. Ich freue mich, wenn es andere Menschen anregt und bin auf eure Erfahrungen und Gedanken gespannt.
Explizit nicht geht es mir darum: Leute zu meiner Herangehensweise an Aventurien zu "missionieren" oder andere moralisch zu bewerten.

Nun aber... als wir vor 2-3 Jahren mit einer neuen Gruppe (außer mir waren alle Aventurien-Neulinge) starteten, haben wir uns entschlossen, an einigen Stellen von der offiziellen Satzung abzuweichen.
Wir versuchen viele Facetten von Diskriminierung aus unserem Aventurien herauszuhalten: es gilt in allen Bereichen und Kulturen eine vollständige Gleichberechtigung und Gleichstellung aller Geschlechter. Liebe und Sexualität ist ebenfalls zwischen allen Geschlechtern erlaubt, verbreitet und wird nicht hinterfragt. Ebenso werden People of Colour im Hohen Norden nicht anders behandelt als weiße Menschen und umgekehrt. Sklaverei (egal ob Leibeigene im Bornland oder Sklavenhandel in Al'Anfa) gibt es bei uns nicht.

Natürlich gelingt es uns als Meister und Spielern nicht immer unsere in der irdischen Welt geprägten Denkmuster abzulegen, aber wir versuchen es.

Auf der anderen Seite können und wollen wir auch nicht alle Formen der Diskriminierung aus unserem Spiel verbannen. Gerade der Klassismus spielt eine wichtige Rolle in der Funktion von Aventurien. Auch anderen Spezies wie bspw. Orks oder Echsenmenschen behalten wir Vorurteile bei.
Generell werden in Aventurien auch Stereotypen verschiedener irdischer Kulturen bedient (Bornland - Russland, Thorwaler - Wikinger, usw. ... ).

Ich denke, es gibt da kein Richtig oder Falsch und jede Gruppe muss das für sich selber entscheiden um das eigene Erlebnis angenehm zu gestalten. Ähnlich wie jede Gruppe implizit oder explizit entscheiden muss wie sie mit Gewaltdarstellungen umgeht und welche Formen "erlaubt" sind.
Wir haben schlicht keine Lust uns mit bestimmten Dingen zu beschäftigen und lassen sie einfach weg in "unserer Fantasie-Welt". :)

Mich würde interessieren, wie andere Gruppen das handhaben?
Vielleicht hat jemand auch weitere Impulse dazu oder berichtet von Schwierigkeiten über die sie gestolpert sind?

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Madalena
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Ungelesener Beitrag von Madalena »

Ich denke, Diskriminierung ist nicht generell ein "Problem". Also, äh, eigentlich ja schon :ijw: . Für die Menschen in der Welt. Aber es braucht eben Ungerechtigkeit, damit es auch Held*innen braucht. ;)

Ich finde die Idee toll und würde ein Augenmerk darauf legen vor allem die Diskriminierungen zu ändern, die realweltliche Diskriminierung oder Vorurteile reproduzieren. Selbst habe ich mir noch nicht im großen Stil den Aufwand gemacht. Im Kleinen kommen wir allerdings teilweise überein, dass wir gewisse Dinge anders handhaben als (insb. in älteren Publikationen) offiziell veröffentlicht.
Jede kann maskierte Superheld*in sein. Ihr müsst gar nicht 24/7 bereit stehen oder euer Leben in die Waagschale werfen. Die Maske reicht schon!

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mhd
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Ungelesener Beitrag von mhd »

ejurgal hat geschrieben: 24.03.2023 13:15 Gerade der Klassismus spielt eine wichtige Rolle in der Funktion von Aventurien.
Eine Klassenstruktur, sicher, aber Klassismus? Wo ist der funktionell (nicht narrativ) relevant?

Das Gegenteil davon ist mir noch etwas zu häufig in Aventurien. Adelige kommen viel zu gut weg, da macht es Warhammer richtiger. Die Briten sind halt noch mehr damit konfrontiert.

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Die dreiköpfige Echse von Nabuleth
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Ungelesener Beitrag von Die dreiköpfige Echse von Nabuleth »

Zum Thema Homophobie in meinen Runden habe ich an andere Stelle schon alles gesagt und hab dem auch wenig hinzuzufügen:
Spoiler
Ein Aventurien, in dem queere Menschen so viel oder noch mehr zu kämpfen haben wie in unserem normalen Alltag im Deutschland des Jahres 2023 gibt das Setting einfach nicht her, das ist ja andernorts schon vor Jahren hinreichend ausdiskutiert worden. Und Homophobie im Rollenspiel braucht auch wirklich niemand (jedenfalls niemand, mit dem ich mich an einen Tisch setzen würde). Auch nicht, um da irgendwelche "Konflikte für die Story zu nutzen", wie es immer vorgebracht wird, wenn jemand begründen will, warum ich mir auch noch in meiner Freizeit Queerfeindlichkeit antun soll. Es gibt schon genug Filme über unglückliche, heimliche Liebe zwischen Frauen vor historischer Kulisse, das ist wirklich das auserzählteste, abgenudeltste Klischee, dass es im lesbischen Kino überhaupt gibt. Es reduziert unsere Existenz auf tragische Sujets, es schreibt die Zensur des Hayes Code fort, der uns in Hollywood ein halbes Jahrhundert lang zu solchen Geschichten verdammt hat, es verfestigt einfach das Stereotyp, wir könnten nie glücklich sein und unsere Erzählungen hätten immer Kampf und unterdrückt werden zu zentrieren. Solche Schnulzen können auch echt gut gemacht sein, ab und zu guck ich sowas ganz gern, aber ich muss trotzdem nicht Portrait einer jungen Frau in Flammen mit meinen Heldinnen nachspielen, egal wie gut der Film war und wie schön ich da am Ende geschluchzt habe. Wenn ich meine eigenen Geschichten schreiben kann, will ich keine tragischen Lesben, dann will ich nutzen, was für aufregende Frauen man in einem Setting wie Aventurien spielen kann. Wenn es Hexen und Amazonen und Piratinnen und all diese anderen Archetypen gibt, die so ein krasses Potenzial haben, außerhalb heteromännlicher Normen und Fantasien schön und interessant und begehrenswert zu sein und queere Frauen ins Schwärmen zu bringen, dann will ich die nicht als schmachtende Trauerklöße spielen, die ewig ihrer an den gesellschaftlichen Zwängen gescheiterten großen Liebe nachweinen, dann will ich ne coole Sword Lesbian spielen, die auf den Putz haut und ihr Happy End kriegt. Drama kann man ja trotzdem genug haben. Es gibt keinen Grund, Konflikte für queere Protaginist:innen immer an ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung als Queers festzumachen, wir sind auch nur Menschen und erleben neben dem ganzen Rotz, mit dem nur wir belastet werden, auch fast alle normalen Herausforderungen, die Cishets so begegnen. Und das ist in Aventurien nicht anders. Ich fand z.B. sehr aufregend, mit meiner Seefahrerhexe (DSA5 mit den neuen Bodenkontakt-Regeln macht es möglich) ne Praiotin abzuschleppen (echter Spielbericht) und bei beiden SC so spürbar den Reiz des Verbotenen und die mit all dem historischen Ballast einhergehenden Spannungen und Schuldgefühle zu haben, gerade wenn das in ne D/s-Dynamik reinging. Ich glaube, das war für beide Seiten (also für alle drei Seiten, der üblich verdächtige Hexer war auch noch dabei) eine sehr interessante, fordernde Konstellation. Die Praiotin wusste halt am Anfang nur bei dem Hexer, wer er war, während sie natürlich sofort als Praiotin erkennbar war und meine Hexe nicht als Hexe (wenn man die Hexensträhne und den Vertrauten übersehen hat - wir haben dann gemeinsam entschieden, dass sie es nicht sofort kapiert, weil das einfach mehr Potenzial hatte). Es war ziemlich unterhaltsam, wie dann im Gespräch, wo natürlich nicht gelogen werden durfte, so peu a peu der Rest rausgekommen ist und ihr immer weiter der Unterkiefer runtergeklappt ist, während sich gleichzeitig eben auch andere Gefühle eingeschlichen haben, die sowohl für die satuarische als auch die praiotische Seite erst mal sehr schwer zu akzeptieren waren und uns erlaubt haben, die SC ordentlich köcheln zu lassen. Das war schon ein Spaß und das hat auch schön geknistert. Meine ich jetzt nicht den Scheiterhaufen mit, echt nicht!
Ein paar Sachen möchte ich aber doch ergänzen. da wir hier das Thema "Dinge aus dem Setting streichen" haben.

Bezogen auf den Startpost finde ich gar nicht, dass man sich die Mühe machen muss, Homophobie in Aventurien zu streichen, sie existiert im offiziellen Setting bereits jetzt nicht in einem mit der heutigen Gegenwart in westlichen Ländern vergleichbaren Ausmaß. Es ist spätestens seit WdG offiziell gesetzt, dass selbst die Travia-Kirche als einziger Kult mit homophoben Ansichten in Ausnahmefällen schwule und lesbische Paare segnet und dann auch kein Problem damit hat, wenn diese Paare Kinder adoptieren. Also selbst in der homophobsten Institution Aventuriens gibt es keine komplette Ablehnung der Ehe für alle und der Regenbogenfamilie. Das machen die zwar nicht einfach so, das ist schon recht kontrovers unter Travianern, aber selbst die sind eher skeptisch als hasserfüllt.

Die entsprechenden Vorurteile reichen natürlich für alle Gruppen, die es anders handhaben wollen, immer noch aus, um bei Bedarf Geschichten mit homophoben NSC zu erzählen, jemanden sein Schwulsein verbergen zu lassen wenn es für den Plot wichtig ist oder die Dorfbewohner in Darpatien doof gucken zu lassen, wenn die Kriegerin und die Magierin Händchen halten. Wer solche Details will, kann sie ohne Änderungen am Setting haben. Wer das einfach ausblenden will, kann das aber auch, ohne am Setting irgendwas ändern zu müssen. Es ist einfach eine Sache, die jede Gruppe mühelos zentral thematisieren oder komplett weglassen kann, je nach Gusto.

Was der bestehende Hintergrund dagegen nicht ohne Änderungen hergibt ist Homophobie als flächendeckende Form struktureller Diskriminierung. Als individuelles Vorurteil gibt es das sicher, aber nicht als in der Breite in der Bevölkerung verankertes, in Gesetze gegossenes, komplette Diskurse duchziehendes Narrativ, wie es irl bis vor wenigen Jahren komplett normalisiert war. Dafür fehlt Aventurien die historische Grundlage. DSA ist eben nicht irdisches Mittelalter mit Magiern und Elfen, DSA ist ein Smoothie aus antiken, mittelalterlichen, neuzeitlichen und außereuropäischen Zutaten - Grundannahmen, bestimmte Dinge hätten so zu sein, weil sie irdisch im 13. Jahrhundert in Mitteleuropa so waren, sind immer mit äußerster Vorsicht zu genießen. Gerade in diesem konkreten Fall ist das eben nicht so, weil Aventurien kein Christentum hat, sondern ein Pantheon, in dem es eine Queerness gegenüber skeptisch eingestellte und eine Queerness offen feiernde Gottheit gibt, während der Rest sich da kanonisch raushält, aber im Zweifel auf Seiten Rahjas steht.

Der Post ist jetzt schon sehr lang geworden, darum belasse ich es erst mal bei diesem einen Thema. Im nächsten sage ich dann trans rights.

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Djembo
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Ungelesener Beitrag von Djembo »

Die dreiköpfige Echse von Nabuleth hat geschrieben: 24.03.2023 16:53 Was der bestehende Hintergrund dagegen nicht ohne Änderungen hergibt ist Homophobie als flächendeckende Form struktureller Diskriminierung.
Und das kann man kaum genug hervorheben. Gruppen, die eben aufgrund von individuellen X-Cards strukturelle Diskriminierung nicht haben wollten, finden in Aventurien (naja, in Myranor auch) schon schon seit laaaanger Zeit ein passendes Setting. Schreib die Abenteuer aus Nostergast nach Thorwal rüber, aus dem Kalifat nach Aranien, aus dem Kosch nach Darpatien, man findet immer ein thematisch verwandtes Setting, in dem es das nicht gibt.
Und wenn man auch das nicht will? Verdammt, es ist ein Rollenspiel. Den Quatsch einfach ignorieren, fertig. Dann tragen die Frauen in Andergast halt auch Hosen und besitzen Geschäfte und wen das ernsthaft stört, der soll sich halt eine andere Spielgruppe suchen.

Ich mag meine strukturell sexistischen (Andergast, Kalifat) und rassistischen (viel im Süden und nahe der Orklande) Settings weil ich mich daran inhaltlich abarbeiten kann. Wo kann mein Charakter so sehr der Held sein, wie die erste weibliche Abgängerin der Magierakademie Andergast? Oder wie die Achmad'sunni, die offen sagt "ich bin eine Frau!"? Oder eben das gleichgeschlechtliche Pärchen im tiefsten Kosch? oder der halbelfische Druide, der sich für Akzeptanz der Holberker in Riva stark macht? Dafür darf dann der Kosch auch mal deutlich unangenehmer sein, als er offiziell beschrieben ist. Der Punkt ist aber: mich betreffen diese ganzen -ismen nicht. Wenn ich auf der Straße eine Gruppe 50-jähriger, biertrinkender Kerle sehe, dann habe ich dabei kein unangenehmes Gefühl. Dann sind mir die schlicht egal. Meine Schüler hingegen, Gülcan, Hamodi und Bassam (Namen von der Reaktion geändert) wechseln dann schon einmal die Straßenseite. Und wenn die drei in ihrem Aventurien, in ihrer Freizeit, in dem, was ihnen Spaß machen soll, das nicht wollen, dann ist es doch nicht an mir, den Kopf zu schütteln und Rollenspielpolizei zu spielen.

Mein Plädoyer wäre, Settings eben frei von sowas zu beschreiben und dann in den Büchern Hinweise zu geben, welche Gegenden sich gut für diskriminierungsthematische Abenteuer eignen ohne die Gegenden gleich als strukturell diskriminierend zu beschreiben.
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Rhonda Eilwind
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Ungelesener Beitrag von Rhonda Eilwind »

mhd hat geschrieben: 24.03.2023 15:59 Eine Klassenstruktur, sicher, aber Klassismus? Wo ist der funktionell (nicht narrativ) relevant?
Hilf mir mal auf die Sprünge - was ist Klassismus?

Und worum geht es bei "funktionell nicht relevant"?

Das ist keine spitzfindige, sondern eine Verständnisfrage - also, ich verstehe den ganzen Post nicht. Ich kann die Wörter lesen, aber sie sagen mir nichts! :dunkelheit:
... und auf ihrem Grabstein wird stehen: "Ich hab's dir ja gesagt!"

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mhd
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Ungelesener Beitrag von mhd »

Rhonda Eilwind hat geschrieben: 24.03.2023 20:18 Hilf mir mal auf die Sprünge - was ist Klassismus?
Laut Duden "Diskriminierung oder Vorurteile gegenüber einer Person oder Personen aufgrund einer [vermuteten] Zugehörigkeit zu oder Herkunft aus einer bestimmten [niedrigeren] sozialen Klasse".

In der Praxis gerne gesehen wenn sich Leute über "bildungsferne Schichten" oder ähnliches beschweren, die arbeitende Klasse für politisch unmündig gesehen wird usw.
Rhonda Eilwind hat geschrieben: 24.03.2023 20:18 Und worum geht es bei "funktionell nicht relevant"?
Das ist ein bisschen schwierig ohne die Beantwortung meiner Frage. Es wurde ja geschrieben im ersten Post hier "Klassismus spielt eine wichtige Rolle in der Funktion von Aventurien". Ich verstehe selbst nicht genau was damit gemeint wird. Wieso würde die Gesellschaft von Aventurien ohne die Diskriminierung der Bauern nicht funktionieren?

Gut möglich dass angenommen wird, dass eine Klassengesellschaft an sich schon klassistisch ist, d.h. allein weil man Bauer ist, ist man unterdrückt. Also ohne im Besitz der Produktionsmittel zu sein usw.
Aber das ist dann ja die Klassenordnung an sich, wenn ich ein Wort wie "Klassismus" bemühe, nähme ich an, dass es da um etwas Zusätzliches geht.

Je nachdem wo wir hier die Grenze ziehen, passt das mit der "Funktion". Klassismus = Klassenordnung? Klar, Aventurien funktioniert zur Zeit in praktisch allen Teilen als Klassengesellschaft, mir wäre da kein marxistisches Wunderland bekannt. Demnach wäre das dann "funktionell".
Wenn es um "weniger Unterdrückung" gehen würde (keine Hardcore-Bronnjaren mehr) oder keine Vorteile gegenüber den unteren Schichten? Wäre tatsächlich etwas unglaubwürdig, dass das möglich wäre, aber ich sehe nicht was das mit der reinen Funktion zu tun hätte. Ob sich alle Kulturschaffenden ohne Murren in die göttliche Ordnung fügen oder eben nicht, die Gesellschaft würde in beiden Fällen möglich sein.

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Ungelesener Beitrag von Rhonda Eilwind »

@mhd

Und dann meintest du mit "Das Gegenteil" (von Klassismus) "Ist mir noch viel zu häufig", dass es zwar eine Klassenstruktur gibt, dass die aber sehr wenig ausgespielt (und teils in ABs und/oder Hintergrundbänden (?) ) sehr wenig beschrieben ist?
... und auf ihrem Grabstein wird stehen: "Ich hab's dir ja gesagt!"

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Die dreiköpfige Echse von Nabuleth
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Djembo hat geschrieben: 24.03.2023 18:30 Gruppen, die eben aufgrund von individuellen X-Cards strukturelle Diskriminierung nicht haben wollten, finden in Aventurien (naja, in Myranor auch) schon schon seit laaaanger Zeit ein passendes Setting. Schreib die Abenteuer aus Nostergast nach Thorwal rüber, aus dem Kalifat nach Aranien, aus dem Kosch nach Darpatien, man findet immer ein thematisch verwandtes Setting, in dem es das nicht gibt.
Schön, dass du das Kalifat als Beispiel bringst. Genau darauf wollte ich nämlich in meinem nächsten Post hinaus.

Wir spielen aktuell ein Fewshot in der Gegend, mit nem SL, der selbst nen kulturellen Background im Mittleren Osten hat und der auch als Co-Autor an Das Wüstenreich beteiligt war. Er ist OT der einzige Mann in der Runde, sonst sind wir alles Mädels (drei cis Frauen und zwei trans Frauen). Weicht also ein bisschen von dem ab, was man sich typischerweise unter ner DSA-Runde vorstellt, ist für mich aber normal.

Und da wir unter den SC einen cis Mann (Derwisch) und eine Achmad'Sunni haben, dazu mit einer Wüstenelfe eine SC, die den fish out of water-Part übernimmt, spielt eben die ausgeprägte Geschlechtertrennung und die Rollenbilder der Novadi eine gewichtige Rolle. Sowohl der SL als auch die Spielerin der Achmad'Suni sind vorher an uns trans Mädels herangetreten und haben gefragt, wie wir mir bestimmten Themen umgehen sollen. Ob es z.B. ok ist, wenn die Achmad'Sunni misgendert wird und solche Sachen. Da wir beide fast täglich mit jedem in der Gruppe in unserem Discord chatten, allen sehr weit vertrauen, wissen, dass die uns respektieren und dass die durch das Mitlesen unserer Gespräche im Discord für cis Personen extrem tief in der Trans-Thematik drin sind, war eigentlich von Anfang an klar, dass wir uns auf Konflikte einlassen können. Würde ich auf ner Con in der Form nicht machen, aber weil ich genau weiß, mit was für lieben Menschen ich da spiele, war es von Anfang an klar, dass das safe ist. :heart:

Und das ist in eben dieser Konstellation ein total produktiver Treiber für's Rollenspiel geworden. Dadurch, dass unser SL so vertraut mit verschiedenen Vorbildern für tulamidische Kulturen ist, bringt er sehr gut rüber, wie sich die einzelnen Stämme unterscheiden, wir kriegen den Alltag am Hof des Kalifen sehr plastisch vor Augen geführt und wir haben eben auch durch diese Detailtiefe in der Kulturbeschreibung und die Zusammensetzung der Gruppe extrem viel Gender. Das ist manchmal konfliktreich, wenn die Achmad'Sunni, die die Famileinehre hochhalten will, aber mit dem ihr aufgezwungenen sozialen Geschlecht hadert, jetzt eine Kriegerin der Beni Zelemjati trifft, für die es ganz normal ist, dass sie als Frau nicht erst rechtlich ein Mann werden musste, um kämpfen zu dürfen. Oder es ist Slapstick, wenn meine Wüstenelfe nicht kapiert, dass die Zelte nach Frauen und Männern getrennt sind, erst mal dem Derwisch hinterherläuft, weil sie den als einzigen richtig kennt und er ihre einzige Verbindung zu den Menschen ist, dann feststellt, dass sie hier falsch ist, mit hochrotem Kopf ins andere Zelt rüberläuft und die Heldin der anderen trans Frau erst mal fragt "Nur zur Sicherheit ... du bist eine Frau, oder?" Oder es ist total rührend, wenn die Sharisad meine Elfe für das große Fest ausstaffiert, uns auffällt, dass Elfen keine Röcke kennen und plötzlich komplett ungeplant diese Trans-Allegorie da ist, dass meine SC zum ersten mal in ihrem Leben einen Rock trägt. Und erst mal zu kreiseln anfängt, um zu gucken, wie der Rock beim Drehen abhebt (für Außenstehende, das ist son klassischer Moment im Coming Out, dass "skirt go spinny" inzwischen ein eigenes Meme ist).

Man kann eben auch in solchen Regionen mit bestimmten Themen lockerer umgehen. Das Kalifat, das wir erleben, ist trotz des ganzen Spaßes, den wir damit haben Geschlechterrollen auf's Korn zu nehmen, eine erkennbar patriarchale Gesellschaft und das durchzieht den ganzen Alltag. Aber man kann das eben auch anders thematisieren, als immer maximal grimmig herauszustreichen, wie furchtbar alles ist. Man muss das ja auch vor dem gesamtaventurischen Hintergrund sehen: Patriarchal im Vergleich zu Aranien oder Meridiana oder Thorwal heißt natürlich, dass es deutlichen Sexismus gibt, die Heldinnen können es auch ganz gut gebrauchen, wenn ein Mann dabei ist, um Aufdringlichkeiten abzuwehren. Aber es ist eben so, wie wir damit umgehen, nicht total höllisch und triggernd, es sind halt lokale Schrullen.

Die aktuelle Darstellung ist da ja auch viel differenzierter geworden. Es gibt jetzt in Kheft nen offen schwulen Mawdli, es gibt in Thalusa mit dem Blauen Lotus eine zwar nicht offen als nonbinär benannte, aber sehr stark so codierte Person und they bringen in den Artworks auch perfekt die androgyne Coolness rüber, die ich irl bei den Enbies in meinem Bekanntenkreis so feiere. Und mit den Achmad'Sunni und den Eunuchen gab es ja schon immer ein genderqueeres Element in der Kultur, auch wenn das erst mal ne völlig andere Geschichte ist als unsere Vorstellungen von Transness. Das sind eigene Themen, aber man kann die auch entsprechend belegen. Hab bei ner anderen Person, die leider nicht mit dabei sein konnte, auch schon gesehen, dass sie eine:n Achmad'Sunni wirklich konsequent als trans Mann gespielt hat und das war echt rührend.

Das hebt sich sehr stark davon ab, wie mittelöstliche Kulturen gerade die letzten zwei Jahrzehnte wahrgenommen wurden. Aber zum einen ist die Realität eben ein bisschen komplexer als diese Klischees, ich hab auch schon pansexuelle türkische trans Frauen getroffen, deren Coming Out vor der Familie gut gelaufen ist. Und gerade in ner historischen Perspektive ist das auch noch mal ein anderes Thema, zu Oscar Wildes Zeiten sind Schwule z.B. von England nach Marokko gezogen, weil sie in Tanger ihre Ruhe hatten.

Also worauf ich hinaus will: In der richtigen Runde kann man alle diese Themen gut erzählen, auch wenn Menschen dabei sind, die selbst entsprechende Marginalisierung erfahren. Man muss natürlich die Vertrauensbasis dafür schaffen, aber unter Freund:innen geht das ja. Und wenn wir uns im Spiel damit auseinandersetzen und Dinge in diesem sicheren Rahmen bewältigen können, dann ist das auch ein Stück weit ne schöne und heilsame Geschichte. RPG hat mir eh sehr viel geholfen, mich nach meinem Coming Out zurechtzufinden und verschiedene Formen von Femininität auszutesten, ich bin dadurch tatsächlich wieder nach ner langen Pause zum Rollenspiel zurückgekommen. Und ich sehe in entsprechenden Communities immer wieder, wie viele von uns komplette Nerds sind, dass andere trans Frauen spontan von ihren LARP-Erfahrungen erzählen oder ne Shadowrun-Referenz bringen und sowas. Ich erleb das wirklich dauernd. Gerade deshalb ist es schade, wenn solche Hobbies immer so dargestellt werden, als würden das nur weiße cishet Jungs machen. Das ist einerseits ne Abwertung und Stereotypisierung dieser Jungs, die genau so ein Recht haben nerdy und awkward zu sein wie wie alle und andererseits blendet es eben komplett aus, dass Communities wie die Rollenspiel-Szene ohne solche hartnäckig kolportierten Klischees viel breitere Bevölkerungsschichten ansprechen würden.

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RvB
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ejurgal hat geschrieben: 24.03.2023 13:15 Mich würde interessieren, wie andere Gruppen das handhaben?
Homophobie ist in unserem Aventurien bisher nie Thema gewesen, was jetzt aber keine Abwandlung vom offiziellen Setting ist. Wir haben da nichts "rausgenommen", was eigentlich irgendwo offiziell gesetzt war.

Einzelne Charaktere haben natürlich manchmal schon diskriminierende Ansichten, aber das gehört dann eben zum Konzept. Beispiel: Unsere Amazone, die außerhalb ihrer Gemeinschaft unterwegs ist und konsequent nur andere Frauen ernst nimmt. Hübsche Männer werden dann mal kommentiert mit "anständiges Zuchtmaterial". 😅 Aber das ist eben Grundlage für Rollenspiel und führt z.B. dazu, dass sie ausgerechnet die quirlige Tsa-Geweihte ernster nimmt als den männlichen Rondra-Geweihten. Ich möchte sie nicht missen, auch wenn ich ihre Ansichten in der echten Welt verstörend finden und heftig kritisieren würde.

Aber an anderer Stelle finde ich selbst uns manchmal "zu modern" in unserem Spiel: Ich beobachte, dass ganz automatisch unsere realweltlichen Werte (Gleichberechtigung & gegenseitiger Respekt = selbstverständlich) auch von unseren SC umgesetzt werden. Für das aventurische Setting fände ich viel stimmiger, wenn wir die Standesunterschiede mal konsequenter ausspielen würden. Tatsache ist aber, dass jeder NSC, der nicht aus irgendeinem Grund "Bösewicht" auf der Stirn stehen hat, respektvoll und freundlich behandelt wird. Jeder Wirt wird geihrzt und andersrum sind wir schnell dabei, mit höchsten Würdenträgern wie Reichsbehüter Brin oder der Magisterin der Magister entspannt per Du zu sein. Das nimmt die Tiefe aus der sozialen Struktur leider ein Bisschen raus. Um dem entgegenzuwirken, spielt ein Mitspieler jetzt meinen Leibwächter und wir sind beide darauf bedacht, diese hierarchischen Grenzen (fair und wohlwollend, aber klar) auszuspielen. Obwohl wir uns schon gegenseitig das Leben gerettet haben, sind wir nicht per Du und an passender Stelle erteile ich ihm auch Befehle.
Umgekehrt würde ich jetzt auch die Standesunterschiede nicht bis zum Sadismus ausreizen und ständig Leute aufgrund ihrer Stellung herabwürdigend behandeln wollen! Und das ist nur eine kleine Nuance in unserem Spiel, mit der Gruppe haben wir trotzdem riesigen Spaß in Aventurien. Ich finde nur, etwas weniger flache Hierarchien würden einige Situationen und Konflikte interessanter machen.
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Kehala
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Rhonda Eilwind hat geschrieben: 24.03.2023 20:18 Hilf mir mal auf die Sprünge - was ist Klassismus?
Ich schreibe bald meine Abschlußprüfung zum staatlich anerkannten Erzieher. Im Fach "Gesellschaft, Ordnung, Recht" ist das Thema dieses Jahr bei uns "Kinderarmut". Dort wurde zu/über Klassismus gesagt:

"Klassismus ist die diskriminierende Ideologie, die glauben lässt, dass die Menschen ihre Benachteiligung selbst verschuldet hätten. Klassismus beruht auf der Idee der "Meritokratie" (Leistungsgesellschaft, wer etwas leistet, wird in einer Gesellschaft bevorzugt), die besagt, dass alleine die persönliche Leistung eines Menschen seinen gesellschaftlichen Staus bewirkt und dass strukturelle Benachteiligungen dabei keine Rolle spielen."

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Kehala hat geschrieben: 24.03.2023 21:19 Klassismus ist die diskriminierende Ideologie, die glauben lässt, dass die Menschen ihre Benachteiligung selbst verschuldet hätten.
Ja, genau. "Wenn du arm oder obdachlos bist, dann hast du doch nur nicht hart genug gearbeitet. Bist wohl faul, also beschwer dich jetzt nicht!" 🤮
Oder auch: "Nein, also mein Theodor Octavius Ferdinand soll mit den Schmuddelkindern aus dem Hochhaus nicht spielen, die sind doch ein schlechter Einfluss! Wer weiß, ob diese Chayenne-Chantalle überhaupt anständig Deutsch spricht."
Sowas ist Klassismus.

@Die dreiköpfige Echse von Nabuleth Das klingt total schön, was du von eurer Runde erzählst! Ist mir auf Anhieb sympathisch. 🤗 Und schön, wie differenziert ihr diese novadische Kultur erlebt! Das Setting hat viel Potenzial und ich habe den Eindruck, ihr schöpft es voll aus.
Zuletzt geändert von RvB am 24.03.2023 23:02, insgesamt 1-mal geändert.
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@Die dreiköpfige Echse von Nabuleth Innen- und Außenansicht. Wenn ich als Historiker so einige Sachen in den Regionalbeschreibungen lese, dann rolle ich auch die Augen. Aber ein Rollenspielsetting dient ja auch nicht dazu, reale Verhältnisse darzustellen (zu dieser Klassismussache könnte man gaaaaaaaaanz viel schreiben), sondern eine Leinwand zu bieten, auf der DIE HELDEN (zu lesen mit dröhnender Vox Dei) sich darstellen. Und das geht mit den Vorstellungen, die schon in den Köpfen sind, immer hervorragend.

Sehr viel Spaß macht mir eine momentan ruhende Runde, in der wir in der Spätantike, konkret im Jahr 402, gespielt haben. Als SL konnte ich da was Ähnliches machen, wie dein Bekannter und eben die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen in Rom selbst, das germanische Leben dies- und jenseits des Limes, die Unterschiede in der Sklavenhaltung und so weiter schön aufbereiten, so dass die Spieler/innen oft da saßen und "ach soooo" sagten. Das funktioniert gut, weil ich ein - verhältnismäßig - ausuferndes Wissen über diese Themen habe und die Unterschiede zwischen allgemeiner Wahrnehmung, schriftlicher Eigenüberlieferung, schriftlicher Fremdüberlieferung, archäologischen Funden usw. kenne. Ich kann in diese Dinge hinein gehen und Sachen sichtbar machen, aber wenn ich dieses Setting nicht so gut kennen würde, was dann? Dann wäre mein Rom nur von Latein sprechenden Stadtbewohnern bewohnt, meine Germanen wären wild und ungekämmt und meine Sklaven wären überall rechtlich gleich gestellt gewesen. Dann hätte ich ein 08/15-Antikebild gespielt.

Und da ist halt das Ding: Süden, das sind so bärtige Leute und die sind alle voll macho drauf und beten ständig. Finsteres-Mittelalter-Deutschland, da tragen die Frauen Röcke, die Häuser sind aus Fachwerk und niemand versteht IRGENDETWAS von Technik und Mechanik (die berühmte andergastsche Rübenpresse anyone?). Und in Fantasy-Spanien duellieren sich alle den ganzen Tag und regen sich furchtbar auf, wenn man ihre Frau dumm anguckt.

Aber tut es einem Rollenspielsetting gut, wenn man davon weg geht? Das ist mehr so eine offene Frage, ich finde viele Argumente dafür, aber auch so einige dagegen.
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Vasall
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Djembo hat geschrieben: 24.03.2023 21:32 Aber tut es einem Rollenspielsetting gut, wenn man davon weg geht?
Ich finde schon.
Rollenspiel ist doch auch dazu da Beweggründe und Wertegerüst seiner selbst und der Gegenüber zu ergründen und darüber zu interagieren.
Das gelingt finde ich um so besser, um so detaillierter, facettenreicher und konsequenter die Charaktere in ihre Lebenswelt eingebunden sind. Und deswegen ist für mich eine tiefgreifende authentische Lebenswelt abzubilden auch sehr zentral im Rollenspiel.
Das gelingt mir immer dann am besten, wenn ich mich über die Klischees hinaus mit den Kulturen und ihren Vorbildern beschäftigt habe und ich sehe vergnügt, dass Du und @Die dreiköpfige Echse von Nabuleth hier von eben der gleichen Faszination berichten könnt.

Ich habe keine Erfahrung mit transgender und struktureller Diskriminierung und kann nicht wirklich beurteilen, ob wir in der Darstellung und respektvollen Ergründung historischer Kulturen solche reproduzieren, aber ich bin mir relativ sicher, dass wir eben dadurch, dass wir dabei so sehr auf die Beweggründe der Charaktere und ihrer sozialen Gruppen eingehen, auch keine unangenehme Gruppe wären und das hab ich auch nicht an Cons erlebt.

Durch unseren Realismus stellen wir die Welt aber sicher oft auch ungefiltert mit all ihren Ungerechtigkeiten dar, ohne die Heldengruppe moralisch darüber zu erheben. Wobei in der Heldengruppe jeder alles sein kann, in der Welt Geschlechtsdimorphismus aber z.B. durchaus für typische Männerberufe und typische Frauenberufe sorgt. Hier achten wir dann insofern auf das Klischee des Kanons, dass sich daraus in Aventurien keine Diskriminierung entwickelt hat. Es interessieren sich also vielleicht nicht so viele Männer fürs Bierbrauen wie es Frauen tun, aber es gibt durchaus eine Menge in dem Beruf und niemand nimmt Anstoß daran.
Die Bauern beschweren sich angesichts der hochprivilegierten Helden - sind ja dann doch oft hochrangige Magier, Krieger und Kleriker - allerdings auch nicht und verlangen von ihnen ständig Teilhabe und Verzicht auf Privilegien.
Und das Fehlen dieses Protests fällt auch nicht weiter auf, da wir, die Spieler in der Realwelt - eingebunden in den deutschen Sozialstaat - ja auch hochprivilegiert sind.

Aber gerade deshalb ist es spannend die fremden und vergangenen Kulturen, gegenüber denen wir uns ja gerne ach so überlegen fühlen, auch mit ihren Ungerechtigkeiten zu ergründen und möglichst seine Vorurteile - "Der Adel piesackt seine Bauern und die sind eh alle ohne Würde und ohne Stolz und merken nichts" - abzulegen und versuchen zu verstehen was jeden Einzelnen in so einer Gesellschaft dazu bewegt seinen Platz im Rad der Fortuna einzunehmen, oder halt auch nicht.

Einen Filter haben wir aber immer an und das ist der Spaß der Gruppe. Sobald es auch nur den Anschein hat, dass das Thema einem Mitglied der Spielrunde unangenehm sein könnte, wird es gar nicht erst aufgeworfen sondern einfach weggelassen und ausgeblendet, oder durch ein schöneres Element ersetzt...da sind wir vermutlich alle sehr ähnlich gestrickt und die Möglichkeit zu haben diese dumpfen Dinge in seiner Freizeit einfach wegzuschnippen ist doch auch was tolles am Rollenspiel.

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Na'rat
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ejurgal hat geschrieben: 24.03.2023 13:15 Mich würde interessieren, wie andere Gruppen das handhaben?
Wäre mir zu langweilig und zu plüschig.

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mhd
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Rhonda Eilwind hat geschrieben: 24.03.2023 20:51 Und dann meintest du mit "Das Gegenteil" (von Klassismus) "Ist mir noch viel zu häufig", dass es zwar eine Klassenstruktur gibt, dass die aber sehr wenig ausgespielt (und teils in ABs und/oder Hintergrundbänden (?) ) sehr wenig beschrieben ist?
Nein, wenn Klassismus "nach unten treten" ist, dann das Gegenteil davon. Die Obrigkeit mehr kritisieren. Fight the Power ;)
Wie oben erwähnt, Adelige kommen mir zu gut weg in Aventurien. Die Bronnjaren gelten noch so ein bisschen als Sündenböcke des Feudalismus, aber sonst ist da zu viel Eitel Sonnenschein. Heldenhafte Tode von Baronen bis zu Kaisern auf Schlachtfeldern (und auch die anderen sind tapfere Freiwillige aus einem Stehenden Herr, keine ausgehobenen Haufen), göttergewollte Ordnung usw.

Ich verlange jetzt kein ständiges "Seht die Gewalt auf die sich das System gründet!", aber es muss ja nicht gleich das Fantasy Äquivalent der Frauenzeitschrift sein wenn es um "Hochwohlgeboren" geht.
RvB hat geschrieben: 24.03.2023 21:31 "Nein, also mein Theodor Octavius Ferdinand soll mit den Schmuddelkindern aus dem Hochhaus nicht spielen, die sind doch ein schlechter Einfluss!
Solange T.O.F. ihre Lieder nicht singt ;)

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Ungelesener Beitrag von Rhonda Eilwind »

@mhd

Verstehe... zu viel Downton Abbey, zu wenig Game of Thrones, ganz grob? (Wobei vielleicht Game of Thrones kein so gutes Beispiel ist, aber immerhin eins, wo es gute und böse Adelige UND deutliche Klassenunterschiede gibt - Downton Abbey ist eines mit jede Menge eitel Sonnenschein trotz Klassenunterschieden.).

Ich glaube, das lag auch mit daran, dass sehr früh über das Briefspiel auch SCs Adelige werden konnten - und es wollte ja keiner dieser Adeligen der "böse", "typische" Adelige sein. So geriet zumindest zu meiner Zeit das allgemeine Spiel recht modernistisch... etwa so wie RvB es oben beschreibt:
Ich beobachte, dass ganz automatisch unsere realweltlichen Werte (Gleichberechtigung & gegenseitiger Respekt = selbstverständlich) auch von unseren SC umgesetzt werden. Für das aventurische Setting fände ich viel stimmiger, wenn wir die Standesunterschiede mal konsequenter ausspielen würden. Tatsache ist aber, dass jeder NSC, der nicht aus irgendeinem Grund "Bösewicht" auf der Stirn stehen hat, respektvoll und freundlich behandelt wird. Jeder Wirt wird geihrzt
So ein bisschen kannte ich das von uns auch. (Ist ja auch lange her)... abgesehen davon, dass ich als Thorwaler natürlich nicht unbedingt geihrzt habe... :ijw: waren wir schon sehr respektvoll, tolerant und egalitär in unserer Einstellung (wobei fast alle SCs auch nicht aus dem Mittelreich waren).

Und damals hatten wir auch durch Abenteuer, Boten und so weiter, den ganz starken Eindruck, dass das so war, wie die damalige Redaktion wollte, dass man das Spiel spielt. Moderner und aufgeklärter, nicht "Mittelalter pur und naturalistisch".

Und so spielten sich evtl. dann auch viele Adelige im Briefspiel, was wiederum auch das Bild der aventurischen Adeligen allgemein mitgeprägt haben dürfte, das damals erst entwickelt wurde.

Lustig wurde es, als ein Teil der Gruppe geadelt wurde - und dann nach und nach anfing, diesen Vorteil evtl auch für sich nutzen zu wollen. Als echte Nicht-Klassisten haben wir das aber brav idR nur anderen Adeligen gegenüber gemacht, nicht, um arme Bauern herumzuscheuchen...
und andersrum sind wir schnell dabei, mit höchsten Würdenträgern wie Reichsbehüter Brin oder der Magisterin der Magister entspannt per Du zu sein.
Das wiederum hat sich nichtmal der Thorwaler getraut... :P

Also, nach oben hatten wir durchaus Hierarchien, die die SCs auch als solche anerkannten - aber nach unten waren wir vermutlich zu verträglich.

Und damit waren die SCs, die am Ende adelig waren, vermutlich selbst in Aventurien in der Rolle des "Motivs für die Frauenzeitschrift" :ijw:
... und auf ihrem Grabstein wird stehen: "Ich hab's dir ja gesagt!"

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Ungelesener Beitrag von natas666 »

mhd hat geschrieben: 25.03.2023 00:43 Adelige kommen mir zu gut weg in Aventurien.
Ja, ob das daran liegt, dass sich einer der Gründerväter von DSA im Glanze des Adels sonnt, obwohl er das gar nicht dürfte? (Künstlername und/oder Satire hin oder her, in Österreich sind Adelstitel meines Wissens seit 1919 abgeschafft). Mein Credo lautet: Friede den Hütten, Krieg den Palästen. :)

Um die Brücke zu DSA zu bauen: Man müsste eine Umfrage machen, aber ich vermute, dass ein Großteil der Spieler lieber Adelige und Edelleute spielen, als einfache Bauern, Fischer oder Diebe. Das hat folgenden Grund:

Wenn ich im RL ein Hanswurst bin (ich nehme das durchaus selbstkritisch), der nichts auf die Reihe kriegt, dann bietet mir DSA die Möglichkeit, auch einmal mächtig, gefährlich und mutig zu sein. Und sich im Glanze Praios oder Rondra zu sonnen lässt mich der sein, der ich im RL nicht bin, aber gern sein möchte. Und ein Adeliger verkörpert Potenz, Kraft und Barmherzigkeit. Wo wir wieder bei den Frauenzeitschriften angelangt wären.
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Ungelesener Beitrag von Rhonda Eilwind »

@natas666

Wir haben immer lieber die Underdogs gespielt, die qua Talent und Schicksal mehr vom Leben hatten als Bauern oder Fischer, sich aber "nach oben" dennoch immer eher erstmal behaupten und beweisen mussten. Klassische DSA-Abenteurer halt... ;)

Dafür, anders als wirklich hochrangige Adelige, weitgehend ohne externe Verpflichtungen.

In der heutigen Welt wären wir letztlich wohl so ne Art Consultants gewesen - gut bezahlte Problemlösungsspezialisten.

Über deren mangelndes gesellschaftliches Renommee man aufgrund ihrer speziellen Fähigkeiten mehr oder weniger gern hinwegsieht.
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In Aventurien ist doch eh gesetzt das rein körperlich Frauen und Männer gleich leistungsfähig sind im Mittel und auch, das Frauen und Männer ein gleiches Spektrum an Handlungen zugeordnet wird. Insofern frage ich mich dann, wenn es also keine geschlechterspezifischen stereotypen gibt, warum sollte jemand, rein aus dem Blickwinkel der Stereotypen, die notwendigkeit sehen, sich als Mann zu verkaufen wenn sie Frau ist und umgekehrt? Also wenns einfach Spaß macht nur zu, aber ich stelle mir vor das das einfach unnötig ist. Die super aggro saufende Stadtwachenfrau und der kinderhütende, tratschende, ständig überemotionale Manipulator-Hauspapa sind halt doch ganz normale Rollen in Aventurien.

Ich kenn mich nicht aus, aber gehts bei transleuten nicht darum das sie sich vom verhalten her nicht ausleben können irdisch, weil ihr biologisches Geschlecht mit stereotypischen Handlungen assoziiert wird die nichts mit der eigentlichen Person zu tun haben? Okay vllt jetzt zu simpel, aber mein Eindruck wäre das es sowas wie Transfrauen und -Männer garnicht geben muss, eben ohne die stereotypen. Können klar wers mag, aber die nitwendigkeit sehe ich nicht. So als uneingeweihter erscheint mir das recht logisch.

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Ungelesener Beitrag von Madalena »

Muahahaha hat geschrieben: 25.03.2023 05:52 In Aventurien ist doch eh gesetzt das rein körperlich Frauen und Männer gleich leistungsfähig sind im Mittel und auch, das Frauen und Männer ein gleiches Spektrum an Handlungen zugeordnet wird. Insofern frage ich mich dann, wenn es also keine geschlechterspezifischen stereotypen gibt, warum sollte jemand, rein aus dem Blickwinkel der Stereotypen, die notwendigkeit sehen, sich als Mann zu verkaufen wenn sie Frau ist und umgekehrt? Also wenns einfach Spaß macht nur zu, aber ich stelle mir vor das das einfach unnötig ist. Die super aggro saufende Stadtwachenfrau und der kinderhütende, tratschende, ständig überemotionale Manipulator-Hauspapa sind halt doch ganz normale Rollen in Aventurien.

Ich kenn mich nicht aus, aber gehts bei transleuten nicht darum das sie sich vom verhalten her nicht ausleben können irdisch, weil ihr biologisches Geschlecht mit stereotypischen Handlungen assoziiert wird die nichts mit der eigentlichen Person zu tun haben? Okay vllt jetzt zu simpel, aber mein Eindruck wäre das es sowas wie Transfrauen und -Männer garnicht geben muss, eben ohne die stereotypen. Können klar wers mag, aber die nitwendigkeit sehe ich nicht. So als uneingeweihter erscheint mir das recht logisch.
"sich als Mann verkaufen wenn sie Frau ist" - es wäre schön solche Formulierungen auch nicht zu verwenden, mit denen du das als Fake antust.

Mit Geschlechterrollen und sozial erlaubten Verhältnisweisen muss das erstmal gar nichts zu tun haben. Ob eine Person lieber Bier trinkt, ob sie Nagellack mag hat erstmal nichts mit dem Trans-Sein zu tun. Es geht um ein (soweit wir es bisher wissenschaftlich sagen können) angeborenes Selbstempfinden als Geschlecht X, und in der Regel um ein Gefühl von richtig oder falsch im eigenen Körper.

Wie sich Transsexualität in einer 100% geschlechtsneutralen Gesellschaft ausprägen würde wäre natürlich rein spekulativ. Eine solche Gesellschaft haben wir nicht. Und damit werden natürlich auch Trans-Personen von Geschlechterklischees geprägt und müssen sich (wie jeder andere Mensch auch) irgendwie darin verorten. Und natürlich nehmen wir alle auch Geschlechterklischees ins Rollenspiel mit hinein (auch dann, wenn dieses als völlig gleichberechtigt definiert ist).
Jede kann maskierte Superheld*in sein. Ihr müsst gar nicht 24/7 bereit stehen oder euer Leben in die Waagschale werfen. Die Maske reicht schon!

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Ungelesener Beitrag von Muahahaha »

Das Thema wird halt nicht einfach freizuhalten sein von irdischen Diskussionen, drum mal ein vllt weniger aufgeladenes Beispiel:

Irdisch würde ich es als gesetzt sehen das, im Mittel, Frauen kleine Männer als weniger anziehend finden. Nen Typ mit 1,60 hat es faktisch schwerer als nen Typ mit 1,90. Die DSA-Regeln geben ihm da aber keinen Nachteil auf Betören, soweit ich weis (habe WdV nicht studiert). Ich weis auch nicht ob man das jetzt als legitime Präferenz einstuft oder ob man sagt (viele) Frauen diskrimieren gegen kleine Männer. Aber wenn ich die DSA-Regeln mir ansehe, dann finde ich da keine Regel die sagt das Menschen mit Geschlecht X, Körpergröße Y oder Haarfarbe Z oder dergleichen irgendwo nen Vor- oder Nachteil erhält. Gut, es gibt „Grüne Haare“ als Stigma, man kann aber such grüne Haare haben ohne den Nachteil zu wählen. Es gibt Größentabellen nach Kultur, das scheint mir aber keine Diskriminierung zu sein. Also von der Seite der Regeln her ist man eigentlich null diskriminiert. Da kannst als 1,60-Mann mit KK 11 genauso nen Zweihänder führen und Betören wienen Typ mit 1,90 und umgekehrt hat der große Typ die gleichen Fahigkeiten in Akrobatik oder so (wo ich denke klein sein ist irdisch ein Vorteil).

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Rhonda Eilwind
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Ungelesener Beitrag von Rhonda Eilwind »

Naja, Regeln funktionieren halt nur so und so genau… ;)

Man könnte in DSA 4.2.5 sicher auch das von dir Angesprochene noch regeltechnisch abbilden, aber die Frage ist da dann, wo der Mehrwert für das Spiel ist?

(Edit: Bisschen so wie: Spielen wir mit Tragkraft oder ohne? - Mit Wunden und Wundschmerz, oder ohne?)

Welche Rolle spielt Betören im Spielalltag und wie oft braucht man theoretisch Größenmodifikatoren und was gewinnt das Spiel dadurch, dass es sie gibt?

Ansonsten verstehe ich nicht so ganz, worauf du mit deinem Beispiel hinauswillst, @Muahahaha?

Ich denke, wenn man (relative - ein Südamerikaner von 1,60 wirkt im Vergleich zu seinen direkten Mitmenschen weniger klein als ein Norddeutscher) Körpergröße als Modifikator in die Regeln übernimmt, übernimmt man ein Geschlechtsstereotyp ins Spielsystem (wie weiland die KK-Modifikatoren für weibliche SCs in D&D (?) ).

Wenn man das wie DSA erstmal nicht tut - aber die Spieler:innen permanent so spielen, als hätte ein sehr kleiner Mann erstmal Probleme, als potenzieller Partner ernst genommen zu werden, und eine große Frau wird entweder belächelt, gefürchtet oder von etwas unreifen Männern abgegraben, die einen Mutterersatz suchen - dann übernehmen die Spielenden bewusst oder unbewusst solche irdischen Geschlechterstereotypen, auch wenn das Spielsystem sie nicht hergibt.

Nötig wäre das nicht - möglicherweise führt diese Übernahme aber dazu, dass man sich in der Spiel-Welt vertrauter fühlt, weil man sich nicht noch Gedanken darüber machen muss, was für Auswirkungen ein fehlender oder geringer ausgeprägter Geschlechtsdimorpismus im Endeffekt auf das menschliche Verhalten hätte… ;)

Zum: Warum sollte man in so einer Welt Trans-Probleme haben oder ausspielen?

1) Es gibt irl Belege für biologisch fixierte Grundlagen von Trans-Sexualität. In diesem Sinne kann man diese also genauso ausspielen wie Homosexualität, Kleinwüchsigkeit, Beidhändigkeit oder ein „fotografisches“ Gedächtnis.

Und selbst, wenn man von der rein soziologischen Deutung von Trans-Sexualität ausginge - könnte man gerade in den aventurischen Gesellschaften, die hier genannt wurden - zB Novadis oder Andergast oder Aranien - das genauso mühelos ausspielen, weil es da eine gewisse Geschlechtertrennung gibt.

Warum man das wollen sollte, ist letztlich vermutlich eine sehr persönliche Frage und spielt für mich in demselben Bereich hinein, wie die, warum man crossgender-SCs spielen soll. Die eine möchte das vielleicht einfach ausprobieren, der zweite hat Spaß an Geschlechterstereotypen, die dritte verarbeitet persönliche Erfahrungen, der vierte würfelt einfach bei jedem SC das Geschlecht und/oder die sexuelle Orientierung aus… wer weiß also?

Unterm Strich spielt das keine Rolle, solange alle Spaß am Spiel ihrer Rolle und der der anderen haben, oder?

Womit ich meine: Wo die Motive sehr persönlich werden, ist es nicht immer nötig oder sinnvoll, sie bis ins kleinste zu analysieren.
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Rhonda Eilwind hat geschrieben: 25.03.2023 10:19 Man könnte in DSA 4.2.5 sicher auch das von dir Angesprochene noch regeltechnisch abbilden, aber die Frage ist da dann, wo der Mehrwert für das Spiel ist?
Rhonda Eilwind hat geschrieben: 25.03.2023 10:19 Ansonsten verstehe ich nicht so ganz, worauf du mit deinem Beispiel hinauswillst, @Muahahaha?
Ich wollte primär mal ein anderes Beispiel einwerfen als die Geschlechterdebatte und einfach darauf Hinweisen das die Regeln erstmal keine mir bekannten Diskriminierungen nach den üblichen Mustern bzgl Geschlecht, Hautfarbe usw vorsehen. Es sollte kein Vorschlag für neue Detailregeln werden sondern eben ganz im Gegenteil anmerken das gerade das Fehlen derselben eben eigentlich bedeutet, dass es diese Präferenz/Diskriminierung gegen kleine Männer in Aventurien (im Allgemeinen) nicht gibt. Also kann Alrika aus Gareth auf große Kerle stehen, aber der kleine Wilbur aus Weiden hat genau die gleiche Chance eine Frau zu finden wie Bilbur, sein großer großer Bruder, weil es neben Alrika eben noch Alara und Balara gibt die lieber kleine Männer wollen als große. Es gibt afaik auch keine Regeln oder Tabellen (in DSA5) die sagen das Frauen um xy centimeter kleiner sind als Männer oder andere Größentabellen.
Ich weis, viele sehen den Hintergrund als gesetzt an und der definiert die Regeln, ich persönlich finde aber das die Regeln auch und gerade jene Teile des Hintergrunds festlegen, der nicht explizit beschrieben wurde offiziell. Also das, vereinfacht gesagt, das Fehlen von Fokusregeln zu Betören bzgl Körpergröße bei Männern bedeutet, dass es eben genauso häufig vorkommt, wenn man sich Paare anguckt, das sie größer und stärker ist als er wie umgekehrt. Also kann es da eigentlich keine diskriminierung geben.

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Ungelesener Beitrag von Rhonda Eilwind »

Ah, ok, verstehe! Danke! :)

Dann habe ich bei meiner Antwort in Gedanken den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht!

Ich stimme dir zu: Eigentlich sollte es diese Diskriminierung in Aventurien nicht geben.

Und man kann das genau so spielen.

Aber - und da wären wir wieder bei meinem letzten Beitrag:

Oft tun wir als Spieler:innen genau das nicht, sondern übernehmen diese irdischen Stereotypen dennoch, bewusst oder unbewusst.

Wie andere Stereotypen, seien es kulturelle oder sexuelle oder narrative.

Insofern finde ich, hast du Recht und Größe ist ein sehr gutes Beispiel, um das Thema etwas wertfreier zu diskutieren.
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Ungelesener Beitrag von Telling »

Das Aventurien, in dem ich mich meistens rumtreibe, ist ein ziemliches Kuschelaventurien, denn nach Aventurien gehe ich fast ausschließlich, um mich zu entspannen.

Als SL bemühe ich mich, die eigenen internalisierten Rollenvorstellungen zu los zu lassen und irdische Vorstellungen von bestimmten Berufen, die wir ja nunmal alle irgendwie eingebläut bekommen haben (z.B. der Hauptmann der Wache, die Gouvernante, ...) so gut es geht hinten an zu stellen. Zum Großteil bin ich dafür dazu übergegangen, das Geschlecht aller eigenen NSCs einfach auszuwürfeln.

Queere Charaktere sind bei uns eher die Regel, als die Ausnahme, was vor allem daran liegt, dass ich beinahe ausschließlich in überwiegend queeren Runden spiele. Wenn ein*e Held*in trans oder nicht binär ist, dann handhaben wir das idR individuell und basteln uns irgendwas stimmiges zurecht, ohne da allzu bibeltreu dem Ulisses-Kanon zu folgen. Diese Freiheit gebe ich meinen Spieler*innen und nehme mir die auch selbst heraus, wenn ich zur Abwechslung mal als Spieler irgendwo dabei bin.
Spoiler
Alderic von Nardesfelde und Schwarztannen, mein Krieger im Jahr des Greifen, hat irgendwann mit 15 oder 16 eine Pilgerfahrt nach Punin unternommen und da relativ unaufgeregt im Regenbogentempel die geschlechtsangleichende Versorgung bekommen, die er brauchte. Natürlich ist das ein Teil von ihm, aber im Heldenalltag hat es quasi keine Rolle gespielt.
Havel aus Ettelsbrück, ein Andergaster Hinterwäldler, den ich für Sturmgeboren ins Svellttal geschickt habe, ist auch ein trans Mann. Für ihn spielt das eine wesentlich größere Rolle, weil ich eben (bewusst) eine der wenigen Herkunftsregionen mit strengen Geschlechterrollen für ihn gewählt habe. Aber auch hier war es für sein Innenleben wesentlich wichtiger als für seinen Heldenalltag. Havel ist Abenteurer geworden, weil er in seinem Dorf das typisch queere Gefühl des "Nicht Reinpassens" erlebt hat - aber nicht, weil er von seiner Familie verstoßen worden wäre, oder so. Im Gegenteil, die lieben und akzeptieren ihn und er denkt gerne an sie.
Gladys Baernhold, meine Ni-Uinin-Schwertgesellin, hat vor allem drei bestimmende Eigenschaften, nämlich Jähzorn, eine posttraumatische Belastungsstörung vom Tobrien-Feldzug, und die Tatsache, dass sie sich von jeder Frau um den Finger wickeln lässt, die sie auch nett anlächelt. Seit Namenlose Nacht ist sie jetzt unsterblich in Khelbara ay Baburia verliebt.
@affinno hat in meiner Theaterritter-Version irgendwann beschlossen, dass deren Elfe Sabdh sich in Leudara von Firunen verliebt - und unsere Version von Leudara ist jetzt lesbisch, und hat unter anderem das Versprechen abgerungen bekommen, sich nicht ständig in Gefahr zu bringen.
Wenn meine Spieler*innen irgendeine Romanze wollen, sei das jetzt die liebreizende Rübenpflückerin für den bornischen Nationalhelden, oder der charmante Zorganer Taschendieb für den Weidener Knappen, der durch Schleiertanz gezerrt wird, dann geb ich ihnen die, solange kein unausweichlicher Metaplot im Wege steht. In den Regionen, in denen queere Beziehungen ein Problem darstellen könnten, spielen wir in der Regel ohnehin nicht. Und wenn irgendjemand gender affirming care braucht, dann schauen wir eben, welche Tempel und Magierakademien es in der Nähe gibt, in deren Themenbereich das ungefähr passen könnte. Ich laufe IRL schon von Hinz zu Kunz, um für mich und andere die trans Gesundheitsversorgung aufzutreiben, die benötigt wird. Da muss ich nicht auch noch in Aventurien die trans Held*innen zum Haupttempel der Rahja schicken, damit da vielleicht unter umständen eine Liturgie gewirkt werden kann. Das geht auch einfacher.

Was Rassismus und Klassismus angeht, kommt es sehr stark auf die konkreten Abenteuer an. Dinge wie Leibeigenschaft und Sklaverei haben wir aus unserem Aventurien (noch) nicht gestrichen, was vermutlich auch daran liegt, dass wir das Privileg haben, uns damit IRL eben nicht auseinander setzen zu müssen.
Aber auch diese Dinge kommen IT relativ wenig zur Sprache. Die meisten Thematiken ergeben sich in unseren Spielrunden aus den Beziehungen der SCs untereinander, den persönlichen Zielen der SCs (gegenwärtig zum Beispiel, dass die Kriegerin ihre Bluttaufe erleben will und die Magierin ein Thema für ihre Forschungsarbeit braucht), und den Beziehungen zwischen den SCs und den jeweiligen wiederkehrenden NSCs der aktuellen Kampagne. Strukturelle Diskriminierung brauchen wir da gar nicht als zusätzlichen Spannungsfaktor.
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Ungelesener Beitrag von Djembo »

Ich frage mich gerade, wie viel Platz ihr diesen Thematiken in euren Runden eigentlich einräumt.
Von meinem Mehrer der Macht beispielsweise bekamen die Mitspieler das erste Mal nach 2 Jahren OT-Spielzeit mit, dass der Männern gegenüber nicht abgeneigt ist, als er sich auf einem horasischen Ball direkt von dem Bösewicht aufreißen lies. Aber eine Rolle spielt das eigentlich nie, zum Einen weil es eigentlich niemanden interessiert, mit wem Torjin ins Bett steigt und zu Anderen weil in diesem ganzen Kuddelmuddel (Jahr des Feuers, Horasreichkampagne, Drachenkampagne, Simyalakampagne und so weiter) nie Zeit war, sich um so unwichtige Sachen, wie die Liebe zu kümmern.
Also wie präsent ist allgemein das Thema überhaupt bei euch?
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Ungelesener Beitrag von Sarafin »

Erstmal teile ich die Ansicht, dass die körperliche und in weiten Teilen soziale Gleichberechtigung in Aventurien in den entsprechenden Kulturen keinen Raum lässt für geschlechtsspezifische Stereotypen. Genau so spiele ich mein Aventurien auch.
Muahahaha hat geschrieben: 25.03.2023 05:52Ich kenn mich nicht aus, aber gehts bei transleuten nicht darum das sie sich vom verhalten her nicht ausleben können irdisch, weil ihr biologisches Geschlecht mit stereotypischen Handlungen assoziiert wird die nichts mit der eigentlichen Person zu tun haben? Okay vllt jetzt zu simpel, aber mein Eindruck wäre das es sowas wie Transfrauen und -Männer garnicht geben muss, eben ohne die stereotypen.
Die Frage, die du oben gestellt hast, mögen sich andere auch stellen, daher an dieser Stelle eine kleine Ausführung zum Thema Transsexualität und Gender:
JEDE Geschlechtsidentität hat zwei Anteile, den Körperlichen und den Gesellschaftlichen. Im Englischen gibt es dafür auch die unterschiedlichen Begriffe sex für den körperlichen Teil und gender für den gesellschaftlichen Kontext der Geschlechtsidentität.
Eine trans Geschlechtsidentität kann (nicht muss) also zwei Aspekte haben. Es ist möglich, dass der Mensch dabei die gesellschaftliche Rolle ablehnt, die mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht einher geht. Das wären die erwähnten Stereotypen und Klischees. Und es ist möglich, dass der Mensch davon belastet wird, dass der eigene Körper in seinen geschlechtlichen Ausprägungen nicht dem eigenen Geschlecht entspricht. Das nennt man dann Disphorie, als Gegenteil zur Euphorie. In meiner Wahrnehmung kommt meistens beides zusammen.

Insofern gäbe es höchstwahrscheinlich auch in einer Gesellschaft, in der es gar keine Geschlechterrollen mehr gibt, trans Menschen. Weil körperliche Disphorie mutmaßlich auch dann ein Ding bliebe.
Djembo hat geschrieben: 25.03.2023 11:56Ich frage mich gerade, wie viel Platz ihr diesen Thematiken in euren Runden eigentlich einräumt.
[…]
Also wie präsent ist allgemein das Thema überhaupt bei euch?
Mein Aventurien ist super queer. Auch im Bereich Romantik, aber nicht nur. Kommt aber auch immer auf den Fokus der Runde an.
„Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.“
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Ungelesener Beitrag von Rhonda Eilwind »

Bei uns kam alles rund ums Theme Sexualität im weiteren Sinne im Spiel eher nebenbei vor - die persönliche sexuelle Orientierung war evtl. wichtig für die innere oder äußere Vorstellung vom SC (und es gab da mW im Laufe der Zeit so ziemlich alles außer einen trans-SC), und es gab auch ein paar offensichtlich queere NSCs - aber während der Abenteuer wurde die Sexualität aller Beteiligten idR kaum thematisiert, weil wir eher selten solche Themen angespielt haben.
... und auf ihrem Grabstein wird stehen: "Ich hab's dir ja gesagt!"

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Djembo hat geschrieben: 25.03.2023 11:56 Ich frage mich gerade, wie viel Platz ihr diesen Thematiken in euren Runden eigentlich einräumt.
Faktisch null. Ab und an geht irgendwer ins Bordell oder so aber was/wen er da tun interessiert eigentlich niemanden.

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