Was ist gutes Rollenspiel?
Das ist eine einfache Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Ich möchte trotzdem den Versuch machen, diese Frage so allgemeingültig wie möglich zu beantworten. Weil das Thema jedoch so vielschichtig ist, versuche ich das Thema in Bereiche zu untergliedern:
Charaktererschaffung
Bei der Charaktererschaffung gibt es grundsätzlich zwei extreme Herangehensweisen, einen neuen Helden zu bauen:
Auf der einen Seite kann man ein Charakterkonzept in Werte formen auf der anderen Seite kann man ein Wertegerüst mit Hintergrund ausfüllen. Letzteres bezeichnet man in seiner extremsten Form oft auch als Minmaxing, ersteres, wenn es übertrieben wird, Powergaming . Natürlich gibt es auch jede Menge Zwischenformen.
Beide Methoden haben ihre Vor- und Nachteile.
Ein Charakterkonzept liefert normalerweise die runderen, in sich stimmigeren Helden, der dem Spieler liegt. Die Nachteile liegen darin, dass sich aufwendigere Konzepte oft nur schwer in Werte pressen lassen, manche Charakterkonzepte Inkompatibilitäten mit der designierten Spielwelt haben und solche Helden im Vergleich zur anderen Methode mitunter wesentlich schwächer ausfallen. (Nicht jeder hat Lust, einen, vielleicht sogar unfreiwilligen, Anti-Helden zu spielen) Je freier in einer Gruppe die Spielregeln ausgelegt werden, desto angemessener ist diese Methode.
Zuerst ein Wertegerüst zu erstellen verführt dazu, den Helden in eine oder mehrere Richtungen zu optimieren. Solange man es nicht übertreibt und der durch die Regeln gesetzte Rahmen nicht gesprengt wird, ist auch diese Methode völlig in Ordnung. Werden jedoch gezielt mehr oder weniger offensichtliche Regellücken ausgenutzt, ist man schnell im Bereich des Minmaxens. Häufig sind Regelwerke aber so kompliziert, dass Regelbrüche nicht sofort auffallen. Natürlich sollte sich der erzeugte Charakter immer im Rahmen der Spielwelt bewegen. Mit einer passenden Hintergrundgeschichte lässt sich natürlich fast alles begründen – aber eben nur fast alles.
Diese Methode ist ideal um Speziallisten zu generieren und angebrachter, je enger sich die Gruppe an die Regeln des jeweiligen Spielsystems hält.
Zusammengefasst sollte der Spieler zumindest ein grobes Charakterkonzept besitzen, dann das Wertegerüst zusammenzimmern und einen Hintergrund ausarbeiten. Zu detaillierte Hintergrundgeschichten halte ich persönlich für kontraproduktiv, da der Aufwand seitens der Spielleitung zu immens ist, diesen Hintergrund zu berücksichtigen.
Gutes Rollenspiel heißt hier, dass der Spieler einen Helden generiert, der regelkonform und völlig kompatibel zur Spielwelt ist. Der Hintergrund sollte kurz und aussagekräftig die Motivation und die Spielwerte des Helden erklären, aber nicht den Versuch beinhalten, der Spielleitung etwas „unterzujubeln“ oder sie einzuschränken.
Charaktermotivation/-verhalten
Zum guten Rollenspiel gehört es, einen motivierten Charakter zu erschaffen. Der Spieler sollte sich hierzu schon bei der Anlage darüber Gedanken machen, wieso der Held ins Abenteuer zieht. Natürlich sind auch Antihelden (Helden wider Willen) möglich, doch besonders, wenn man den Helden über längere Zeit führen möchte, ist es unumgänglich irgendwann mindestens einen guten Grund zu finden, der den Helden bei der Stange –und damit im Abenteuer- hält. Dieser Grund oder die Gründe sollte/n dem Hintergrund oder dem laufenden Spielgeschehen entstammen. Der Charakter sollte auch seinem Hintergrund entsprechend gespielt werden. Stärken und Schwächen ausspielen ist gutes Rollenspiel. Für den Spieler ist es immer wichtig sich zu fragen, wie sich der Held in der Situation verhalten würde. Das Verhalten sollte sich an den für den Helden gültigen Prinzipien, Werten und Normen orientieren. Glaubwürdiges Verhalten ist gutes Rollenspiel. Schlechtes Rollenspiel ist es, einen intime unmotivierten Helden eventuell sogar gegen dessen Prinzipien einfach mitlaufen zu lassen, nur weil der Spieler outtime „gerade Bock darauf hat“ oder „das Spiel am Laufen“ halten will. Das ist Sache der Spielleitung, lässt den Helden blass aussehen und ist tödlich für den Gruppenzusammenhalt, wenn es darauf ankommt. Gutes Rollenspiel ist es, wenn in solchen Situationen auch die anderen Helden versuchen, den unmotivierten Helden zu motivieren. Schlussendlich sollte die Spielleitung natürlich für eine grundsätzliche intime Motivation aller von ihr zugelassenen Helden sorgen.
Charakterauftreten
Gutes Rollenspiel heißt hierbei, dem Helden etwas unverwechselbares, einmaliges mitzugeben. Das kann die Sprachmodulation, ein Akzent, ein Sprachfehler, immer wiederkehrende Phrasen, eine einmalige Haltung, ein typisches Verhaltensmuster oder ähnliches sein. Je mehr „Macken“ ein Charakter hat, desto farbiger lässt er sich darstellen.
Das benutzen direkter Rede und Handlungsbeschreibungen in der ersten Person sind auch ein Zeichen guten Rollenspiels.
Schlechtes Rollenspiel bedeutet, dass man nie genau weiß, wann der Spieler und wann der Held agiert. Sätze wie „Ich lasse meinen Helden…“, „Mein Held fragt dann mal …“, „Mein Held sieht …“ lassen eine unpersönliche Distanz entstehen.
Ebenso ist es unangebracht, wenn ein Spieler die Ergebnisse von Heldenaktionen vorwegnimmt, also „Ich habe…“ oder „Ich bin …“ anstelle von „Ich werde...“, „Ich mache…“ oder „Ich versuche … zu…“.
Trennen zwischen InTime und OutTime
Der Vollständigkeit halber eine kleine Definition vorweg: InTime (im Text auch intime geschrieben) ist alles was sich innerhalb der Spielwelt befindet oder abspielt. OutTime ist im Gegensatz dazu alles, was sich in der realen Welt befindet oder abspielt.
Ein Spieler sollte sich darüber im klaren sein, was sein Held weiß und betrifft und was nicht.
Die Motivation für Handlungen des Helden sollten sich ausschließlich inTime begründen lassen. Genauso sollten Handlungen von (anderen) Helden keinen Einfluss aus das Verhalten des Spielers haben. Die strikte Trennung dieser beiden Welten ist eine Grundlage für gutes Rollenspiel.
Allgemeines Verhalten des Spielers
Zu gutem Rollenspiel gehört Disziplin. Der Spieler sollte sich und seine Handlungen immer unter Kontrolle haben. Dazu gehört der Verzicht auf (übermäßigen) Konsum von Alkohol und anderen Rauschmitteln.
Schummeln oder Unehrlichkeit gehören eindeutig zu schlechtem Rollenspiel.
Spieler sollten sich auf das Spiel vorbereiten. Dazu gehört das Bereithalten von notwendigem Spielmaterial genauso, wie eine entsprechende Vorbereitung des Helden auf das Abenteuer. Sich auf das Spiel auch geistig einzustimmen, ist ebenfalls eine gute Art der Vorbereitung.
Verhalten gegenüber den Mitspielern
Gutes Rollenspiel bedeutet, outTime seine Mitspieler höflich und respektvoll zu behandeln. Dazu gehört auch, dass die Spieler ihre Handlungen nacheinander ansagen und sich nicht gegenseitig niederbrüllen.
Es bedeutet auch, sich manchmal ein wenig zurückzunehmen, um auch den Mitspielern im wahrsten Sinne des Wortes Spielraum zu lassen.
Ein weiterer Faktor liegt darin, nach dem Spiel positive Kritik üben und akzeptieren zu können. Während des Spiels wird dadurch der Spielfluss zu sehr gehemmt.
Verhalten gegenüber der Spielleitung
Zu gutem Rollenspiel gehört es, Entscheidungen der Spielleitung im Spiel zu akzeptieren. Eine Kritik sollte nach dem Spiel, dann aber auf jeden Fall, erfolgen. Offene Fragen den eigenen Helden betreffend, sollten nach Möglichkeit im Vorwege geklärt werden, alles Andere hält den Spielbeginn sehr auf. Über Regeln diskutiert man vor dem Spiel, z.B. während der Klärung offener Fragen, oder danach, nicht währenddessen. Man sollte die Möglichkeiten des Helden kennen, das beinhaltet die Kenntnis der betreffenden Regeln.
Man sollte das Verhalten des Helden kurz aber präzise gegenüber der Spielleitung schildern. Äußerungen – direkte Rede - sollte nach Spielbeginn grundsätzlich inTime erfolgen. Man sollte sich an die Grundsätze „Gesagt – getan – nicht gesagt – nicht getan“ und „Im Zweifel kann alles was Sie sagen, gegen Sie verwendet werden“ halten.
Charakterentwicklung
Die weitere Entwicklung des Charakter wird natürlich durch das Spiel bestimmt, man sollte jedoch darauf achten, dass der Charakter Facetten, Tiefe und Profil dazu gewinnt. Eine übertriebene Entwicklung von Stärken oder Spezialitäten ist genauso schädlich, wie ein unangemessenes Verwaschen der Stärken und Schwächen bzw. des Profils. Das macht einen Charakter langweiliger, nicht interessanter.
Sicher gibt es noch weitere Bereiche, der immense Einfluss der Spielleitung auf das Rollenspiel ist noch nicht berücksichtigt, doch -denke ich- wurde vieles zumindest berührt. Die einfachste Definition „Wenn es Spaß macht“ empfinde ich eher als Grundlage, denn als Definition von gutem Rollenspiel – schließlich soll es außer Rollenspiel noch mehr Dinge geben, die Spaß machen.